Homöopathie im Deutschen Tierärzteblatt – Ein offener Brief an die Bundestierärztekammer

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In der Februar-Ausgabe des Deutschen Tierärzteblatts, in Fachkreisen auch nach dem Initiator Dr. Heinrich Geddert als “Grüner Heinrich” bekannt, wurde unter dem Titel “Regulationsmedizin – mehr als nur eine Alternative” ein umfassender Artikel veröffentlicht, in dem versucht wird, Homöopathie als eine ernsthafte, evidenzbasierte und fachlich respektierte Heilmethode darzustellen.

“Ein erweitertes Verständnis von Krankheit und Gesundheit”, so der Untertitel dieses Beitrags von Dr. Jürgen Deeg, der die Zusatzbezeichnung Homöopathie führt und am Hahnemann Zentrum Meissen doziert. In dem Artikel wird auf Hildegard von Bingen und Samuel Hahnemann Bezug genommen, und auf Basis von vorgeblichen wissenschaftlichen Beweisen ein Bild von der Homöopathie als segensreiche Alternative in der Veterinärmedizin gezeichnet.

Dies, sowie weitere Punkte im Artikel, sind gleich auf mehreren Ebenen ein Problem und dürfen besonders in der heutigen Zeit nicht kommentarlos stehen bleiben, weshalb wir uns entschlossen haben, einen offenen Brief an die Bundestierärztekammer zu richten.


 

Sehr geehrter Herr Dr. Tiedemann,
sehr geehrte Damen und Herren,

in der Februar-Ausgabe des Deutschen Tierärzteblattes findet sich unter der Rubrik “Forum” ein Artikel von Herrn Dr. Jürgen Deeg [1] über Homöopathie im Rahmen der Regulationsmedizin im veterinärmedizinischen Bereich.

Wir möchten Ihnen gerne darlegen, warum dies nicht nur in unseren Augen ein Unding ist, sondern warum dies ganz konkrete Auswirkungen auf Tiergesundheit, Gesellschaft sowie die Rezeption von Wissenschaft und Medizin in dieser hat, und was an der verwendeten Begrifflichkeit der “Schulmedizin” problematisch ist. Vorwegschicken möchten wir, dass wir nicht auf jedes auch noch so erwähnenswerte Detail des Artikels eingehen können. Dies würde den Rahmen mehr als sprengen; zu kritisieren bliebe immer noch genug.

Zunächst zu dem Thema, dass Homöopathie in einer medizinischen Fachzeitschrift überhaupt eine Bühne bekommt:

Die Homöopathie hat es bislang, auch bereits im dritten Jahrhundert, nicht geschafft, einen Wirksamkeitsnachweis über den Placeboeffekt hinaus unter Beweis zu stellen. Auch aktuelle Versuche, durch falsche Darstellung von Studien und Reviews, dies zu tun, ändern nichts an der Tatsache und am wissenschaftlichen Konsens. Um an dieser Stelle Prof. Dr. med. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in einer Publikation der Helmholtz-Gemeinschaft zu zitieren: “Homöopathie zu untersuchen, das ist vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens fast so, als wollte man sicherstellen, dass sich hinter dem Mond kein Pumuckl versteckt.” [2]

Vielleicht ist es Ihnen entgangen, dass zur Zeit eine Landesärztekammer nach der anderen die Zusatzbezeichnung “Homöopathie” aus ihrem Katalog streicht, Krankenkassen zurecht immer mehr von der Erstattung homöopathischer Verfahren abrücken, und dass auch in der öffentlichen Wahrnehmung die Homöopathie, auch durch Medienpräsenz in Form von faktenbasierter Parodie immer mehr mit Fug und Recht nicht mehr als Medizin wahrgenommen wird  weil sie eben keine ist.

Ungeachtet der Evidenzlage und aller Argumente geben Sie hier einer Pseudotherapie eine Bühne, die konkrete, nachteilige Effekte auf die Tiergesundheit z.B. in der Massentierhaltung hat. So müssen Bio-Schweine laut EU Bio VO zunächst mit Homöopathie behandelt werden, bevor evidenzbasierte Medizin zum Einsatz kommen darf. Dies verlängert den Krankheitsverlauf und sorgt sowohl für unnötige Schmerzen, als auch für einen höheren Einsatz von Antibiotika, um beispielsweise verschleppte Lungenentzündungen therapieren zu können. Auch im Kleintier-Bereich ist der Verzicht auf eine wirksame Therapie zugunsten der Homöopathie viel zu oft mit Leid verbunden.

Auch unter Tierärzten und Tierärztinnen herrscht weitestgehender Konsens über die Nichtwirksamkeit von Homöopathie, “Alternativ rechtfertigt keine Sonderstellung – Evidenz gilt überall”, so der Tenor einer Petition mit klaren Forderungen an Ihre Person und Organisation. [3]

Wenn sich das Bundestierärzteblatt wirklich als fachliche Standesvertretung und offizielles Organ der Bundestierärztekammer versteht, ist die Veröffentlichung eines solchen Artikels schlicht ein Unding und nicht mit dem Wissenschaftsethos zu vertreten. Zudem konterkariert sie in jedem Maße sämtliche Bemühungen, sachlich über die Homöopathie aufzuklären.

Zum Artikel selbst lässt sich sagen, dass allein schon die Einordnung der Homöopathie als Regulationsmedizin grundlegend falsch ist. [4] Es wird immer wieder versucht, die un- und vorwissenschaftlichen Erklärungen Hahnemanns mit Begriffen aus der modernen Wissenschaft zu deuten oder zu etikettieren. Dies funktioniert nicht, da das Konzept der Homöpathie unserem gesichertem Wissen, wie die Welt aufgebaut ist, widerspricht.

Obwohl Regulationsmedizin eigentlich sicherlich ein sinnvolles Thema im Kontext der potenziellen Themen im Deutschen Tierärzteblatt ist, wird mit dem Potpourri an alternativmedizinischem Schwurbel in diesem Artikel der eigentlichen Sache ein Bärendienst erwiesen. Der Artikel konstruiert eine vorgebliche “endlose Homöopathiedebatte”, die es de facto nicht gibt. Es wurde geforscht und ein Konsens gefunden. Gegenstudien, die angeblich die Wirksamkeit von Homöopathie über den Placeboeffekt hinaus belegen, bis jetzt ausnahmslos widerlegt, falsche Deutung offenbart oder als methodisch untauglich von der wissenschaftlichen Fachwelt abgelehnt. Die Datenlage ist klar und eindeutig. Die endlose Debatte findet nur von Seiten der Verfechter der Homöpathie statt, die die wissenschaftliche Evidenz konstant verleugnet, aufklärende Stellen zu diskreditieren versucht und selbst Studien und Reviews nach eigenem Gutdünken deutet. [5]

Der für die Beobachtung einer vermeintlichen Wirksamkeit der Homöopathie verantwortliche Placeboeffekt findet im Artikel zwar auch Erwähnung, jedoch ist es geradezu erschreckend, dass Herr Dr. Deeg als studierter Mediziner offensichtlich keinerlei Kenntnis vom Placebo-by-Proxy-Effekt hat (oder haben will). Anders lässt sich die selbst für interessierte Laien äußerst befremdliche Argumentation nicht erklären.

Besonders herausgehoben wird in dem Artikel die Aussage, dass das Wissen darüber, wie ein Medikament wirkt, noch nie Voraussetzung für die Zulassung gewesen sei. Dies ist richtig, wurde jedoch auch niemals behauptet. Eine Wirkung muss nicht erklärt, aber in jedem Fall nachgewiesen werden. Und dies hat die Homöopathie bislang in ihrer Geschichte noch nie gekonnt. “Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus” war auch ein Kernsatz in einem Rechtsstreit mit der Firma Hevert, welche diese Aussage gerne hätte verbieten wollen.

Man könnte viele weitere Punkte in dem Artikel weiter analysieren und kritisieren, dies sprengt jedoch den Rahmen. Auch dass Sie im Vorwort zum Heft Frau Dr. Heidi Kübler, der ersten Vorsitzenden der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin eine Bühne bieten, um allen Ernstes homöopathische Mittel in der Massentierhaltung zu propagieren und dabei die (klaren!) Grenzen zwischen Homöopathie und Naturheilkunde derart missverständlich verwischen zu lassen, ist ehrlich gesagt erschreckend. In nicht nur unserem Verständnis steht das in diametralem Gegensatz zum Selbstverständnis einer Bundestierärztekammer, die für Wissenschaft und Evidenz einstehen sollte.

Ein oft im Zusammenhang mit der Homöopathie erwähnter Begriff ist das Wort “Schulmedizin”. Dieses wird quasi in jeder Argumentation verwendet, um die Homöopathie (und andere wirkungslose “alternativmedizinische” Verfahren) von der evidenzbasierten Medizin abzugrenzen.

Von der Tatsache, dass “Schul-” im Kontext der umfassenden universitären und praktischen Aus- und Weiterbildung von Studierenden nicht nur der Veterinärmedizin nicht im Ansatz gerecht wird, gibt es mit diesem Wort noch ein anderes Problem, was ungleich gewichtiger ist und tiefer geht.

Hahnemann bezeichnete die Verfechter der etablierten Medizin despektierlich als “Mediziner der Schule”. Aus diesem Kontext entwickelte sich in der Zeit des Nationalsozialismus der Begriff der “Schulmedizin”, damals noch zusammen mit dem Adjektiv “verjudet”. [6] Die Agenda der Nationalsozialisten sah im medizinischen Bereich eine Eliminierung jeglicher jüdischer Verbindung zur Medizin vor. In dieser Zeit wurde übrigens auch das Heilpraktikergesetz erlassen, was deutschen “Heilkunst praktizierenden” Menschen eine Grundlage bieten sollte, ihre Tätigkeit weiter auszuüben. Bis heute hat sich an der Rolle der Heilpraktik trotz eklatanten Ungleichheit der Ausbildung zwischen Medizin und Heilpraktik erschreckend wenig getan.

Und auch heute wird dieses von zutiefst antisemitischen Weltbildern geprägte Wort der “Schulmedizin” immer noch und immer wieder verwendet. Zuletzt in einem Artikel im Deutschen Tierärzteblatt, in Ihrer Fachzeitschrift.

Dies ist nicht nur durch die bloße Tatsache der Verwendung so tragisch und erschütternd, sondern im besonderen im Kontext mit der von der Kammer getragenen Aktion zum Gedenken der NS-Opfer, die zurecht der Jüdinnen und Juden gedenkt, denen in der NS-Zeit die Approbation entzogen wurde, die verfolgt wurden, und Opfer dieses grausamen Regimes wurden. [7] Diese aus einer Zusammenarbeit von DVG und BTK entstandene Aktion ist wichtig und begrüßenswert. Leider wirkt sie fast wie Hohn, wenn im gleichen Organ Nomenklatur und fachbezogene Argumentation aus NS-Zeiten immer noch Bestand haben.

In der heutigen Zeit, und zuletzt auch durch die Pandemielage, haben Verschwörungsideologien, Alternativmedizin und schwindendes Vertrauen in die Wissenschaft Aufwind erhalten. Homöopathie taucht selten isoliert auf, sie wird fast immer von anderen “alternativmedizinischen” Methoden begleitet, zumindest auf der Seite der daran interessierten Menschen. Auch wenn sie als einziger “Ausreißer” aus wissenschaftlicher Evidenz im Portfolio einer tiermedizinischen Praxis oder Klinik angeboten wird, so untermauert diese Tatsache allein schon die augenscheinliche Wichtigkeit der Homöopathie und verleiht ihr eine gefühlte Wichtigkeit und Autorität, die sie schlicht nicht hat. Eine derart große Bühne in dem offiziellen Fachblatt der deutschen Tierärztekammer ist hier einfach ein fatales Zeichen an die Gesellschaft und schadet letztendlich dem Vertrauen in die Veterinärmedizin, dem Berufsstand und in letzter Konsequenz jedem einzelnen Tier, das durch ineffektive Behandlung mit Homöopathika unnötig leiden muss oder gar verstirbt.

Wir als gemeinnützige Gesellschaft, die sich der Aufklärung über ideologischen Missbrauch verschrieben hat, und für humanistische Ideale und eine aufgeklärte Gesellschaft steht, appellieren an Sie als Präsidenten der Bundestierärztekammer, der Homöopathie zukünftig in offiziellen Fachpublikationen keinen Platz mehr einzuräumen und sie in der Literatur zu belassen, wo sie hingehört: in die Geschichtsbücher, aber nicht in Fachblätter einer Ärztekammer.

Mit freundlichen Grüßen

Giulia Silberberger
Rüdiger Reinhardt

Der goldene Aluhut gUG (haftungsbeschränkt),
Berlin am 01.02.2021

 

Quellen und Verweise

[1] http://regulativmedizin.online/
[2] https://www.helmholtz.de/gesundheit/wirkt-homoeopathie-wirklich/
[3] https://www.change.org/p/deutsche-tier%C3%A4rzte-fordern-keine-hom%C3%B6opathie-in-der-tierarztpraxis
[4] https://netzwerk-homoeopathie.info/keine-reiz-regulations-therapie/
[5] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=2894
[6] https://www.derstandard.de/story/2000109455158/wie-viel-nazi-ideologie-steckt-im-begriff-schulmedizin
[7] https://www.bundestieraerztekammer.de/ns-schicksale/