Populistische Tricks: Der konstruierte Zensurvorwurf
Im Repertoire der Strategien und Taktiken des Populismus ist der Vorwurf der Zensur generell ein probates Mittel, um inhaltlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Die vorgebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit, eines unserer höchsten Güter in der Demokratie, liefert verlässliche Ablenkung vom eigentlichen Streitpunkt, sorgt für Schlagzeilen und mediale Präsenz und bietet eine Bühne für die eigene Darstellung. Nun braucht es in einer Demokratie, die sich auf ein Grundgesetz mit explizit ausgeschlossener politischer Zensur stützt, eigentlich schon handfeste, valide Beweise für so eine Behauptung, aber auch diese lassen sich oft ebenso leicht inszenieren, wie so eine Behauptung aufgestellt ist. Dieser Artikel ist daher einer in einer Reihe über solche Strategien, die gerne im Populismus angewendet werden.
Es geht natürlich nicht darum, dass die gelieferten, vorgeblichen Beweise hieb- und stichfest sind, sie können in der Tat im Extremfall noch nicht mal etwas mit der eigentlichen Sache zu tun haben. Sie müssen nur “erzählbar” genug sein, also oberflächlich logisch sein und genau das aufzeigen, was von Menschen, die einem solchen Vorwurf Glauben schenken wollen, gerne gehört wird. Einem auch nur oberflächlichen Faktencheck halten sie keineswegs Stand, aber es wird von populistischer Seite eben davon ausgegangen, dass ein solcher in der Regel nicht stattfinden wird und “offiziellen” Faktencheckern sowieso nicht geglaubt wird, da sie ja angeblich Teil des Systems sind.
Es ist also relativ leicht, einer Regierung, Institution oder sonstigen Einrichtung, die für Meinungspluralität steht, Zensur vorzuwerfen und sich damit gleichzeitig in einer Opferrolle zu inszenieren. Manchmal ergeben sich solche Narrative der Zensur oder bewusster Unterdrückung von Einfluss auch aus der Community, die solchen populistischen Strömungen folgt.
Das Grundschema
In der Regel folgt ein solcher Vorwurf folgendem Muster:
- Es werden Behauptungen aufgestellt, Thesen geäußert, provoziert, bis eine zu erwartende Reaktion einer bestimmten Stelle eintritt (Distanzierung der Universität von den Forschungen, Widerruf von Einladungen, Kündigungen oder Auflösen von Verträgen)
- Tritt die zu erwartende, vollkommen legitime Reaktion ein, wird sie öffentlichkeitswirksam als Zensur dargestellt
- Die Gründe für die Reaktion werden verzerrt oder gänzlich falsch dargestellt
Was übrig bleibt, ist auch Jahre später noch das Narrativ der Zensur, während die eigentlichen Details und Hintergründe aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind.
Davon abgesehen, dass die Meinungsfreiheit sowieso an dem Punkt endet, wo die Freiheit anderer Menschen beeinträchtigt wird oder der Inhalt der getätigten Äußerungen strafrechtlich relevant ist, hat die Reaktion hier noch nicht einmal inhaltlich etwas mit den getätigten Äußerungen zu tun.
Ein paar Beispiele
Die Bundespressekonferenz hat am 21.12.2021 verlauten lassen, dass Boris Reitschuster aus dem Verein ausgeschlossen wird. Der Bundespressekonferenz e.V. lädt – ein weltweit in dieser Form einmaliges Modell – die Politik zu regelmäßigen Pressekonferenzen. Voraussetzung einer Mitgliedschaft ist, dass man hauptberuflich aus Bonn oder Berlin in deutschen Medien über Bundespolitik berichtet. Da die Voraussetzungen wiederholt nicht erfüllt waren und Reitschuster sich auch auf Aufforderung nicht zu den Vorwürfen geäußert hat, wurde folgerichtig durch eine Abstimmung ein Ausschluss Reitschusters beschlossen. Konkret ging es um die Impressumsadresse, welche wiederholt auf Reitschusters Blog (dem einzigen Medium, für das er berichtet) einen Firmensitz in Montenegro anzeigte.
In einer Darstellung auf Reitschusters Blog, die geschickt in einem Gastbeitrag auf seinem Blog unter dem Titel “Ausschließen, Ausgrenzen, Rauschmeißen” veröffentlicht wurde, liest sich der Vorwurf natürlich anders: Hier wurde Reitschuster von der Bundespressekonferenz “ausgeschaltet”, es ist von einem “Jubel der Linken” die Rede. Der Artikel liefert noch weitere großartige Beispiele von Framing, um diese Botschaft zu transportieren. Der eigentliche Grund, der fehlende Sitz in Deutschland, wird jedoch nicht erwähnt. Dieser ist zwar in einem weiteren Artikel, der eigenen Stellungnahme erwähnt, der Fokus liegt dort aber auch eher auf der angeblichen Ungerechtigkeit. Man werde notfalls vor Gericht ziehen (und bittet in diesem Zuge auch gleich um Spenden).
Das Ergebnis ist ein Narrativ der Zensur gegenüber einem Journalisten, das sich auch weiterhin halten wird, egal wie oft Gegendarstellungen und Richtigstellungen veröffentlicht werden, und egal wie wenig dies mit der Realität zu tun hat.
Interessanterweise wird in dem Gastartikel auf Reitschusters Blog auch gleich ein weiteres, sehr passendes Beispiel gebracht: Eine “wirkmächtige und unüberhörbare Stimme” eines Experten in der Pandemie sei ebenfalls “ausgeschaltet” worden. Konkret geht es um den Virologen Prof. Dr. Dr. Alexander Kekulé, dem die Direktion der Martin-Luther-Universität Halle eine “vorläufige Dienstenthebung” ausgesprochen hatte. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Uni Halle für eine Stellungnahme noch nicht zu erreichen war und es nach ersten Presseberichten um eine Streitfrage bezüglich des Lehrdeputats, also der Verpflichtung, an der Universität zu unterrichten, ging, stand in dem Gastbeitrag auf Reitschusters Blog bereits fest, dass damit eine Expertenstimme ausgeschaltet werden sollte. Auch ein mittlerweile erschienener, weiterer Gastbeitrag bringt die “Entlassung” bereits im im Artikelteaser mit den Corona-Maßnahmen in Verbindung.
Auch hier ist es eigentlich irrelevant, warum Kekulé beurlaubt wurde. Die Tatsache dass dem so ist, wurde sofort aufgegriffen und argumentativ als eine Art der Zensur dargestellt, die “Stimme” wurde “ausgeschaltet”. Dass die Entscheidung der Universität Kekulés Auftreten in Talkshows, seine Stellungnahmen und Interviews in Zeitungen und Medien, sein Podcast und sämtliche anderen öffentlichwirksamen Aktivitäten in keiner Weise beeinträchtigt, ist hier auch egal, bzw. wird vernachlässigt. Dass sich im Prinzip an seiner Präsenz und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nichts ändert, wird nicht erwähnt.
Ein weiteres Beispiel eines ähnlich gelagerten Vorwurfs, bzw eine Begebenheit mit einem richterlichen Urteil als Begründung ist der Fall der sogenannten “Hockeyschlägerkurve” des Klimawissenschaftlers Michael Mann. Diese Kurve, die die Temperatur im Verlauf der Erdgeschichte zeigt und in der ein starkes Ansteigen in der jüngeren Zeit erkennen lässt, war seit ihrer ersten Veröffentlichung um die Jahrtausendwende Gegenstand populistischer Kritik von klimawandelleugnender Seite. Eine in verschwörungsideologischen Kreisen gängige Argumentation ist, dass ein kanadisches Gericht die Veröffentlichung der Kurve verboten habe, so zu lesen auch in vielen deutschsprachigen, populistischen Blogs (wie z.B. Tichys Einblick: “Gericht urteilt gegen den Schöpfer des Klimawandel-Hockeyschlägers”). Es wird allgemein das Bild gezeichnet, dass Prof. Mann ein Betrüger sei, dem erst ein Gericht das Handwerk legen konnte. Es wird zwar hier nicht von Zensur gesprochen, da hier die staatlichen Institutionen, das Gericht, ja positiv entschieden haben, aber das zugrundeliegende Prinzip ist gleich: Es wird eine Begründung für ein Ereignis konstruiert, die mit der Realität wenig bis nichts zu tun hat, und das Gesamtbild dann entsprechend verkauft.
Die wahre Geschichte dahinter ist nämlich, dass es in dem Gerichtsverfahren überhaupt nicht um diese Temperaturkurve ging. Es handelte sich um eine Verleumdungsklage, die vom Gericht im Hinblick auf den schlechten Gesundheitszustand des Klägers, dem Kreationisten Tim Ball und die bisherige sowie die noch zu erwartende Verzögerung, abgewiesen wurde. Es existiert noch nicht einmal ein Urteil. Das Narrativ vom Klimaforscher, der durch ein Gericht widerlegt wurde, existiert jedoch seitdem als beispielhaftes Argument in den entsprechenden verschwörungsideologischen Kreisen.
Natürlich interessiert die Menschen, die diese Zensur-Narrative glauben wollen nicht, was wirklich dahintersteckt. Damit konfrontiert, werden diese Widersprüche in der Regel geleugnet oder gewollter Propaganda zugerechnet. Wer diese Geschichten glauben will, wird das auch weiterhintun, ungeachtet sämtlicher Faktenchecks.
Wichtig ist aber, dass wir als Gesellschaft um die Tricks und Kniffe des Populismus wissen. Dass wir erkennen, wenn sie angewendet werden, und das wir diese auch als solche benennen. Der “Werkzeugkasten der populistischen Rhetorik” ist leider sehr gut ausgestattet, und wie man oft an Kommentaren in den sozialen Medien erkennen kann, sind diese Werkzeuge auch sehr wirksam. Wenn wir sie aber kennen, sind sie leicht zu enttarnen.
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