Chemtrails – Look at the Sky!
Chemtrails? Chemische Streifen? Es versteht sich von selbst – alles ist Chemie. Ob eine Banane, ob ein Ziegel oder ob Wasser, überall wird man chemische Elemente in Verbindungen finden. So natürlich auch in den Kondensstreifen. Es wäre also überflüssig, auf etwas Selbstverständliches mit einem eigenen Begriff hinzuweisen. Aber warum nennt man sie Chemtrails?
Ein Gastbeitrag von Jörg Lorenz, Autor von “Das Chemtrailhandbuch”.
Ab und zu sieht man mal Streifen am Himmel, natürlich. Aus den Triebwerken der Flugzeuge kommen Abgase, kommt auch viel Feuchtigkeit. Bei den -40, -50, -60 °C, die in der Höhe herrschen, kann die Feuchtigkeit an den Aerosolen der Abgase gut kondensieren und es bilden sich Eiskristalle. Diese Eiskristalle kann die Feuchtigkeit, die sich in der Höhe auch manchmal bereits befindet, gleich gut nutzen und hängt sich dran – der Streifen wächst und wächst, wird als solcher verfrachtet oder auch auseinander geweht, wird breiter. Kondensstreifen heißen diese Gebilde deshalb. Es ist eigentlich so, wie man es erwartet: Wir haben ein extrem hohes Flugaufkommen.
Es wurden aber in den letzten Jahrzehnten nicht nur immer mehr Flugzeuge, sondern immer mehr größere und leistungsstärkere Jets, die dazu noch immer öfter in großen Höhen zwischen 9000 und 13000 Metern flogen und auch noch fliegen. Dort reichen ein paar tausendstel bis hundertstel Gramm Feuchtigkeit, um die Luft zu sättigen – im Unterschied zu mehreren zehn Gramm am Boden, bei vergleichbarer relativer Feuchtigkeit, versteht sich. Dieses erwartungsgemäße Verhalten wird auch immer wieder bestätigt – sei es bei meteorlogischen Vorgängen, sei es bei Messungen durch DLR und CARIBIC, sei es bei Beobachtungen durch Planespotter, insbesondere Contrailspotter. Und da es sich bei den Streifen um nichts anderes als kondensiertes bzw. gefrorenes Wasser handelt, fliegen täglich mehrere Millionen Passagiere, Flugbegleiter und Piloten völlig unbekümmert durch die Gegenden, wo die Streifen herumschwirren und atmen die Luft dort ein.
Wie wir wissen, kommt die Luft von außen ungefiltert in die Kabinen. Von der Umweltbelastung durch Verkehrsmittel – so also auch durch Flugzeuge – und von der Klimawirksamkeit durch den erhöhten Bedeckungsgrad, der sich durch die Streifen ergibt, reden wir hier nicht – das sind leider die unangenehmen Nebenwirkungen der heutigen Mobilität und Flexibilität, der relativ preiswerten Fliegerei durch Passagiere, der Just-in-Time- und Just-in-Project-Verfahren in der Industrie. Diese Folgen wurden erkannt und an der Minderung, zum Beispiel durch ein Reduzieren der Streifen, wird intensiv gearbeitet. Nur ist das nicht ganz einfach. Kondensstreifen heißen diese Gebilde also. Aber warum nennt man sie manchmal Chemtrails, chemische Streifen?
Selektive Wahrnehmung
Mitte der neunziger Jahre entstand in Kanada und in den USA der Gedanke, dass es sich bei den Streifen am Himmel um nichts Natürliches handeln könne. Das ist natürlich insofern richtig, dass die Streifen durch den Menschen verursacht werden, durch die Fliegerei. Aber der Gedanke und die Aussage gingen weiter: Streifen seien nicht nur die Folgen der Fliegerei, sondern sie seien vorsätzlich ausgebrachte Substanzen. Durch den Hinweis, an den Himmel zu sehen, fielen die Streifen auch immer mehr Menschen auf. Dabei sind die Streifen und die damit begünstigte Bewölkung in großen Höhen, sie sind also Eiskristalle. Damit begünstigen sie wiederum sogenannte „Halo-Phänomene“, Farben am Himmel, die vor allem durch Lichtbrechung und –spiegelung entstehen. Da die Menschen nun zielgerichtet an den Himmel sahen, entdeckten sie auch diese Erscheinungen.
Und nebenbei konnten sie nun auch Wellenmuster in den Wolken beobachten. Also: viele Streifen, Farben und Muster am Himmel – das war das, was manchen Menschen erst auffiel, weil sie nun zielgerichtet an den Himmel sahen. Selektive Wahrnehmung nennt sich das eigentlich normale menschliche Verhalten. Wir fahren mit dem Auto durch die Stadt und die Beifahrerin sagt: „Hast du gesehen, Hilde hat gelbe Gardinen am Fenster?“ Die Reaktion wird sein: „Ist mir nicht aufgefallen, darauf habe ich nicht geachtet.“ Beim nächsten Vorbeifahren wird man hingucken und: tatsächlich, da sind gelbe Gardinen dran. Wir wurden darauf hingewiesen und haben es selektiv wahrgenommen. Seit wann die gelben Gardinen schon dran sind? Keine Ahnung. Weil: Man hat nicht darauf geachtet.
Und genau dieses menschliche Verhalten wird bei der Beobachtung der Phänomene am Himmel gezielt ausgenutzt. Dazu gab und gibt es noch ein paar andere Methoden: Durch die mittlerweile verbreitete digitale Aufzeichnungstechnik ist es jedem möglich, Fotos und Videos in Massen zu erstellen und dank der Vernetzung durch das Internet zu verbreiten. Es gibt heute somit naturgemäß wesentlich mehr Dokumentationsmaterial als früher. Man kann also von früher nicht sehr viele Aufnahmen finden, denn die kosteten dazu noch Geld. Jede einzelne Aufnahme. Vor allem diese Methoden wurden also Mitte der Neunziger in Kanada und den USA eingeführt und bereits genutzt. Die Märchen von den Chemtrails verbreiteten sich. Ca. 2002 gab es die ersten Hinweise darauf im deutschsprachigen Raum, allerdings nur sehr verhalten. Dies änderte sich schlagartig, als 2004 in der Zeitschrift „raum & zeit“ ein Artikel des Schweizers Gabriel Stetter veröffentlich wurde: „Zerstörung des Himmels durch Chemtrails“.
Von da an nahm die Verbreitung der Märchen auch bei uns seinen Lauf – es ging los mit Herren aus Baden-Württemberg, die mit chemtrails-info.de Chemtrails beschrieben und Gegenmittel anboten; Werner Altnickel aus Oldenburg war sehr aktiv, wie auch Peter Platte aus Hannoversch Münden, und der Rechtsanwalt Dominik Storr aus Neustadt am Main dürfte sicher auch bekannt sein. Jo Conrad aus Osterholz Scharmbeck hat einen Namen in diesem Bereich, ein Herr aus München konnte mit diesem Thema gut esoterische Artikel verkaufen und in Österreich sieht ein Herbert Glantschnig auch Chemtrails, da er irgendwelche Kristallpyramidenbehandlungen verkaufen muss. In der Schweiz hat sich insbesondere ein Herr Diro Anders um die Verbreitung der Märchen verdient gemacht. Nun wäre es natürlich nicht damit getan, den Menschen einfach zu erzählen, die Streifen seien Chemtrails. Schließlich, müssen die ja auch einen Zweck haben.
Der Wahnsinn, der Methode hat
An dieser Stelle kann man sehr gut einen Wandel bei den Methoden durch die Anhänger der Chemtrail-Märchen feststellen; man sieht, dass sie durchaus flexibel sind. Wurden zunächst Ziele wie Reduzierung der Menschheit, Verstecken von irgendwelchen Geschichten außerhalb der Erde (Nibiru!), Mind Control und so weiter genannt, war das natürlich sehr abstrakt. Dies ist ja sogar auch im Sinne einer Verschwörungstheorie: man darf sich nicht festlegen, denn es muss hinter allem ja auch jemand stecken, dafür verantwortlich sein soll. Und dabei landen wir eben bei den angeblichen Verschwörungen, bei den Bedrohungen durch mehr oder weniger abstrakte Personengruppen, was bekanntlich – manchmal auch über Umwege – u. a. zu den Juden führt. Damals konnte man wirklich meist feststellen, dass es sich bei denen, die an die Chemtrail-Märchen glaubten, um Spinner oder Wichtigtuer handelte. Und damals konnte man auch die Frage stellen: „Warum glaubt jemand an diesen Schwachfug?“ Ja, weil Betroffene es aufgrund intellektueller Beschränktheit nicht besser wussten oder weil sie einen Nutzen daraus zogen. Möglicherweise waren damals auch Ratschläge richtig, diese Leute einfach zu ignorieren. Vielleicht.
Beginnend ca. 2010/2011 wurde jedoch immer mehr über eine Richtung in der Wissenschaft diskutiert, die den Anhängern der Chemtrail-Märchen in die Hände spielte. Klimawandel & Co. dürfte allen ein Begriff sein, ebenso dürfte bekannt sein, dass es nicht so einfach ist, ungünstige, durch den Menschen hervorgerufene, Einflüsse auf das Klima schnell zu reduzieren. Also gab und gibt es Überlegungen, wie man eine globale Erwärmung reduzieren oder stoppen könnte. Dazu dachte man sich verschiedene Methoden aus – angefangen dabei, dass weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre darf, bis dahin, dass man ja die Einstrahlung durch die Sonne reduzieren könnte – in der Gesamtheit der Methoden Geo- Engineering oder auch Climate Engineering genannt. Diese Methoden wurden immer mehr vorgestellt, auch in den öffentlichen Medien.
Die Anhänger der Chemtrail-Märchen fanden dabei auch gleich das Passende: Beim Reduzieren der Einstrahlung durch die Sonne geht es u. a. um Ausbringungen in der Stratosphäre, genannt Solar Radiation Management. Moment: Himmel und Ausbringungen werden da genannt? Wir sehen am Himmel Streifen und Farben? Da kann man den Leuten doch erzählen, dass die Streifen bereits Geo- Engineering seien! Gedacht, getan … Mit dieser Verbindung wurde die Verbreitung der Märchen wesentlich intensiviert und auch erfolgreicher – man liest von Ausbringungen am Himmel in den Medien und man sieht das, worauf man durch die Anhänger der Chemtrail-Märchen hingewiesen wird. Man sieht das, was man sehen soll. Dass das in der Wissenschaft alles blanke Theorie ist; dass das noch gar nicht machbar ist, weil sich SRM in ganz anderen Höhen abspielen würde; dass man bei keinen Messungen am Himmel etwas Auffälliges feststellt; dass man keine in Verbindung damit stehenden Flugbewegungen sieht – all das spielt keine Rolle und genau das wird durch die Chemtrail- Gläubigen auch vertuscht. Und obwohl man mit einem Billigflug an den Himmel kommt, wo die Streifen sind; obwohl immer wieder Menschen vormachen, wie man preiswert einen Wetterballon in die Höhe bekommt, gibt es auch von den Chemtrail-Gläubigen noch nicht eine einzige Probe vom Himmel.
Im Gegenteil: Von diesen Möglichkeiten, Belege für ihre Behauptungen zu bringen, lenken sie bestmöglich ab. So wären zum Beispiel die Nanopartikel am Himmel viel zu klein für Probennahmen. Klar, aber mit dem bloßen Auge kann man vom Boden aus die Streifen sehen … Dadurch, dass die Anhänger der Chemtrail-Märchen aber nun die Forschung zu Geo- Engineering für ihre Zwecke missbrauchen, nahm die Verbreitung dieser Märchen ungeahnte Ausmaße an. Leider ist es nun auch nicht mehr so, dass es nur die „Spinner“ sind, die an diese Verschwörungstheorie glauben. Im Gegenteil – es gibt sogar Akademiker, die dem Glauben schenken. Im Prinzip ist es ja so, dass man etwas glauben muss, wenn man nicht über ausreichend fachliche Kenntnisse zum jeweiligen Thema verfügt. Man weiß es eben nicht besser.
Dafür haben wir im täglichen Leben auch Fachleute, die sich um spezielle Probleme kümmern. Die haben das schließlich gelernt. Bei den Verschwörungsmärchen ist es hingegen anders – hier fühlt sich jeder Anhänger komplett ohne Ausbildung und ohne Erfahrungen in der Lage, alles beurteilen zu können. Und hier liegt auch das Kernproblem. Verschwörungstheoretiker wissen nicht, dass man nicht alles wissen kann. Durch diese fehlende Basis mangelt es naturgemäß auch an methodischer Kompetenz, also am Wissen darum, wie man einen Mangel an Kenntnissen bzw. Erfahrungen beheben kann. Man akzeptiert die vereinfachten Erklärungen durch Verschwörungsmärchen für komplizierte Sachverhalte bzw. Zusammenhänge und deklariert sie als die richtigen.
Das Geschäft mit der Angst
All dies – angefangen von der bereits genannten selektiven Wahrnehmung über subjektive Wahrnehmung bis hin zu fehlender methodischer Kompetenz – kennen natürlich die Gurus der Verschwörungsmärchen. Sie wissen auch, wie man die Leute fängt. Nicht jeder glaubt gleich jede Verschwörungstheorie, wie die Verschwörungsmärchen umgangssprachlich genannt werden, sondern die verschiedenen Verschwörungsmärchen sind vielfältig und bieten für jede Zielgruppe etwas. Glaubt man nicht an Chemtrails, fällt man vielleicht auf den 9/11-Inside-Job herein? Oder auf das Märchen, Deutschland sei eine GmbH? Oder, oder, oder – es gibt die verschiedensten Themen.
Glaubt der potenziell Betroffene erst mal an ein Märchen, landet er unweigerlich bei der Verschwörung, der Bedrohung. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, um zu glauben, die Verschwörung lauere überall. Und so glaubt man dann schnell auch an andere Verschwörungstheorien, an Homöopathie, an Esoterik; man wird zum Pharma- und Impfgegner, man mutiert zum Reichsbürger. Es ist eben ein riesengroßer und hart umkämpfter Markt; man kann alles Mögliche gegen die behaupteten Bedrohungen aus den Verschwörungen verkaufen und da Extremisten ebenfalls mit Bedrohungen arbeiten, können sie auch gleich noch bei den Verschwörungstheoretikern abschöpfen. Deshalb werden die Methoden, neues Fußvolk für Verschwörungstheorien zu finden, auch immer ausgeklügelter – es ist Manipulation in höchstem Maße. Insofern ist die Frage „Warum glaubt jemand an diese Märchen?“ bei weitem nicht mehr aktuell und zielführend. Vielmehr muss die Frage lauten: „Wie wird jemand dazu gebracht, diese Märchen zu glauben?“
Warum ist das nun so wichtig? Es soll etwas dabei helfen, die Menschen zu verstehen, die aktuell von den Chemtrail- Märchen betroffen sind. Immer wieder zeigt sich, welche Gefahren bzw. Risiken die Verbreitung dieser Märchen mit sich bringen. Menschen haben Ängste vor dem, was vom Himmel kommt. Sie verbieten in Panik Kindern, bei Kondensstreifen nach draußen zu gehen; Kinder dürfen dann also auch nicht zur Schule. Aus Angst vor den Folgen von Chemtrail-Fallout werden zweifelhafte bis gefährliche Mittel verabreicht, Stichwort: MMS. Fanatische Chemtrail-Gläubige drohen damit, Flugzeuge mit Lasern zu attackieren. Selbst Piloten wurden schon abgefangen. Es sind also konkrete Gefahren, die aus völlig unbegründeten Ängsten resultieren, die den Betroffenen vermittelt, eingeflößt, werden.
Diese Leute einfach als „Spinner“ abzutun, hilft denen nicht und es hilft auch nicht, die aus der Verbreitung der Märchen resultierenden Gefahren zu reduzieren. Unsachlichkeiten gegenüber den Betroffenen treibt sie im Gegenteil erst recht zu den anderen Verschwörungstheoretikern, denn dort werden sie anscheinend verstanden und ernst genommen. Wer sich mit den Chemtrail-Märchen beschäftigt und wer dagegen ankämpfen möchte, sollte also bedenken: Die Chemtrail-Märchen an sich können ruhig ins Lächerliche gezogen werden, denn isoliert sind sie das schließlich. Mit ernsthaft Betroffenen im direkten Gespräch sollte jedoch möglichst sachlich umgegangen werden. Es sind nicht mehr nur die Spinner von früher, die daran glauben. Ja, und wer die Chemtrail-Märchen fanatisch und vorsätzlich verbreitet? Dessen Bemühen sollte mit einem Goldenen Aluhut belohnt werden.
Mehr Informationen zu Jörg Lorenz’ Arbeit findet Ihr unter www.chemtrail-fragen.de und www.chemtrailbilder.de