Good Cause Fallacy

Populistische Tricks: Die “good cause fallacy”

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In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit einem Logikirrtum (logical fallacy), der in verschiedenen Arten oder Ausprägungen auftritt, der “good cause fallacy”. Aber es ist ja für einen guten Zweck!” ist ein oft gehörtes Argument. “Dann kann es ja nicht falsch sein”, die meistens daraufhin getroffene Einschätzung. In Situationen, wo entweder populistische Agitatoren versuchen, mit einem vorgeblich hehren Ziel auf Stimmenfang gehen oder sogar renommierte Hilfseinrichtungen anscheinend selbst diesem Fehlschluss erlegen sind und mit fragwürdigen Partnern zusammenarbeiten, die mit unwissenschaftlichen psychologischen Methoden arbeiten, kann man sich auf dieses Bauchgefühl leider nicht mehr unbedingt verlassen. Ein Faktencheck ist hier – wie so oft – hilfreich.

Helfen zu wollen und sich für eine gute Sache einzusetzen, zu spenden oder einen entsprechend tätigen Verein anderweitig zu unterstützen ist verständlich und menschlich. Jedoch wird die Hilfe zum Bärendienst, wenn die Einrichtung oder Vereinigung, die man helfend unterstützen möchte, entweder andere Ziele hat, oder – wissentlich oder unwissentlich – nicht hilft, sondern im Extremfall sogar schadet. Per se kann man den Menschen, die einem solchen Irrtum aufsitzen, keinen Vorwurf machen, da das Motiv von guten Absichten, nämlich Hilfsbereitschaft, geprägt ist.

Eben dieser emotionale Appell an Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit ist hier aber das beabsichtigte Einfallstor zur Vertrauensbildung. Im Rahmen der Förderergemeinschaft und im sozialen Medienumfeld einer Einrichtung können dann subtil weitere Inhalte, die eigentliche Absicht der Vereinigung, transportiert werden.

Das Muster

Stellen wir uns einmal folgende Situation vor: Eine ideologische Gruppierung X gründet eine Initiative unter dem Etikett “Y”. Dabei ist Y ein Thema, das in der Gesellschaft einen möglichst weitgehenden Konsens findet und ein hohes emotionales Potential hat, beispielsweise Kinderschutz, Tierschutz, Menschenrechte, oder generell die Hilfe für Bedürftige.

Durch entsprechende Präsenz in den sozialen Medien schart diese Initiative Y dann einen Unterstützerkreis um sich, der sie finanziell und auch in der Sache selbst unterstützt. In den Gruppen und Gemeinschaften der sozialen Medien, oder je nach Situation auch im echten Leben, wird dann die Gewogenheit dieses Unterstützerkreises ausgenutzt um die eigentlichen Inhalte der ideologischen Gruppierung X zu transportieren und damit im Extremfall den Einstieg in einen Radikalisierungsprozess zu fördern.

Da das Thema Y, wie schon erwähnt, positiv angenommen wird, als “gute Sache” gilt und die Organisation Y vielleicht sogar schon einen guten Ruf hat und sich entsprechend seriös präsentiert, wird hier nicht hinterfragt, wer eigentlich hinter dieser Organisation steht. Die ideologische Gruppierung X jedenfalls hat sich damit erfolgreich hinter der guten Sache von Y versteckt und über diese Tarnorganisation eine beachtliche Reichweite erlangt, um ihr Gedankengut zu verbreiten oder vor allem aus der Followerschaft von Y nun Personen in andere, radikalere Gruppen und Kreise abzuwerben. Die Erfahrung zeigt, dass der Einstieg in den Verschwörungsglauben generell oft aus der Absicht, sich für eine gute Sache zu engagieren, geschieht. Dieser Trick nutzt diesen “natürlichen” Effekt und bietet ihm quasi eine Bühne.

Es gibt noch eine weitere Ausprägung dieses Fehlschlusses, wobei dieser dabei eher passiv abläuft: Während im obigen Beispiel die ideologische Gruppierung aktiv eine andere Organisation vorschiebt um sich zu tarnen, geht es im folgenden darum, wie sich ideologisches Gedankengut in einer renommierten Organisation tarnen kann, weil beispielsweise das Bewusstsein für ein solches Gedankengut in der Gesellschaft nicht ausgeprägt genug ist, um dieses zu erkennen.

Hierbei stellen wir uns nun vor, dass eine Initiative Z das oben genannte Thema “Y” bedient oder mit Partnern in diesem Bereich zusammenarbeitet. Dabei handelt es sich bei diesen Partnern jedoch um Vertreter von Methoden einer ideologischen Gruppierung X, die potenziell schädigend sind. Unter dem bewährten Hauptthema Y fällt dies jedoch nicht auf, wird in der Gesellschaft nicht erkannt und bedenkenlos weitergetragen, auch weil die Initiative Z einen guten Ruf hat und das Vertrauen der Öffentlichkeit genießt.

Die Initiative Z muss hier nicht notwendigerweise wissentlich als trojanisches Pferd fungieren, nimmt aber aufgrund der eigenen renommierten Position genau diese Rolle ein, da das Bewusstsein um die potenzielle Gefährlichkeit der Methoden der ideologischen Gruppierung X nicht vorhanden ist oder diese Gefährlichkeit ignoriert wird.

Beiden Fehlschlüssen liegt jedoch zugrunde, dass eine “gute Sache” von einem eigentlichen, potenziell gefährlichen Problem ablenkt.

Worum geht es konkret?

Bereits vor mehreren Jahren wurden Kampagnenseiten in den sozialen Medien aktiv, die mit dem Thema Kinderschutz auf den Plan traten. Dahinter stand niemand anderes als die NPD, die mittels einer Kinderschutzkampagne als trojanisches Pferd ihre Inhalte verbreiten bzw. an der Kampagne interessierte Menschen “teasern” und anlocken wollte.

Die Interessensgemeinschaft rechte Kinderschutzseiten aufdecken (IGstoppMissbrauch) hatte seinerzeit dieses Vorgehen beobachtet und dokumentiert und ist seither weiter am Thema dran, so ist beispielsweise die Obdachlosenhilfe Dresden e.V. nun im Visier der Staatsanwaltschaft.

“Friedensfahrzeuge”, die den Anschein von Polizeifahrzeugen erwecken. (Bild: Twitter / Sebastian Feltel)

Im Zuge der Flutkatastrophe im Ahrtal traten ebenfalls schnell bekannte Gesichter aus der Querdenker- und Coronaleugner-Szene auf den Plan. Die Initiative “Eltern stehen auf” unterwanderte eine offizielle Hilfsorganisation, um vor Ort Kinderbetreuung anzubieten. Auch die oft auf Querdenker-Veranstaltungen beobachteten “Friedensfahrzeuge” waren vor Ort zu sehen. Bei diesen Autos, die optisch Polizeifahrzeugen nachempfunden sind, wird übrigens ebenfalls versucht, sich durch vertrauenswürdigen Anschein zu legitimieren und Vertrauen zu gewinnen.

Während dies alles aktive Versuche sind, hilfreiche Absichten mit eigenen ideologisch geprägten Absichten zu unterminieren, handelt es sich im folgenden um ein Beispiel aus der oben beschriebenen “passiven” Variante.

Im Zuge der Ersthilfe für ankommende Geflüchtete aus der Ukraine in Berlin riefen diverse Hilfsorganisationen zu Spenden auf. Unter anderem auch Aktion Deutschland Hilft, ein Bündnis deutscher Hilfsorganisationen. Durch diese Dachorganisation sollen Spendengelder effizienter eingesetzt und Hilfe besser koordiniert werden. An sich eine gute Idee.

Denken wir aber nun einmal an obiges Muster, so bietet eine solche Dachorganisation ein willkommenes Szenario, bei dem eine der Partnerorganisationen mit ihrem “Schwurbel” nicht auffällt. Genau diesen Fall haben wir hier: Die Aktion Deutschland Hilft e.V. ist eine renommierte Hilfsorganisation, die selbst großen Wert auf Transparenz und verantwortungsvollen Umgang mit Spendengeldern legt. Mitglied im Bündnisnetzwerk und damit auch Empfänger von Spendengeldern ist allerdings auch der Verein Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V., der nach eigener Aussage auch “Notfallpädagogik” nach Rudolf Steiner für Geflüchtete anbietet.

Das klingt zunächst nicht weiter dramatisch, allerdings sollte man wissen, was es mit dieser Notfallpädagogik und der antroposophischen Lehre an sich, auf der diese aufbaut, auf sich hat.

Auf der Webseite des Vereins ist diese so beschrieben:

Die Notfallpädagogik der Freunde wendet sich an psycho-traumatisierte Kinder und Jugendliche in Kriegs- und Katastrophengebieten. Sie dient der psychosozialen Stabilisierung von Betroffenen, die darin unterstützt werden, traumatisierende Erlebnisse zu verarbeiten und in die eigene Biografie zu integrieren. Durch die Anregung der Selbstheilungskräfte sollen eventuelle Traumafolgestörungen abgemildert oder ganz abgewendet werden. Die Notfallpädagogik bedient sich dabei Methoden auf Grundlage der Waldorfpädagogik und verwandten Therapieformen.

Waldorfpädagogik und verwandte Therapieformen sind keine evidenzbasierte oder auch nur annähernd wissenschaftliche Methode und keinesfalls angezeigt bei postraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) oder Langzeit-Traumafolgen, wo es gute evidenzbasierte Behandlungsmethoden gibt. Hier kann man als Laie schon unglaublich viel falsch machen, was ein solches Trauma sogar noch fördern kann. Eine Notfallpädagogik, die auf dem steinerschen Verständnis von “spiritueller Erweiterung des Körpers” in seinen Wesensgliedern “physischer Leib”, “Ätherleib”, “Astralleib” und “Ich” aufbaut, und Krankheiten als Konflikte zwischen diesen Daseinsebenen versteht, ist hier dann erst recht fehl am Platz.

Einen unterhaltsam geschriebenen und gleichzeitig sehr umfassenden und korrekten Überblick über die Antrophosophie findet sich hier. Probleme mit Antroposophie und Antisemitismus werden hier genauer beleuchtet. Die Waldorfschulen waren im Jahre 2020 Preisträger unseres goldenen Aluhuts im Bereich Verschwörungstheorien allgemein. In der Laudatio wurden weitere Punkte der Kritik erläutert.

David Ghasemi, Medizinstudent und Wissenschaftskommunikator aus Heidelberg beschreibt das Problem auf Twitter:

Im Verlauf der Tweets schreibt er weiter:

Unzweifelhaft leistet der allergrößte Anteil der Organisationen, die bei Aktion Deutschland Mitglied sind, ganz tolle Arbeit. Aber solange man nicht sicher sein kann, wo das Geld genau hinfließt, gebe ich es lieber an Ärzte ohne Grenzen etc. Da weiß ich, was ich fördere.

Und das ist genau das Problem: Häufig ist die Reaktion, dann doch dafür zu spenden, weil ja “der Rest für einen guten Zweck” ist. Die notwendige Reaktion sollte allerdings sein, Aktion Deutschland Hilft auf das Problem aufmerksam zu machen. Es zeigt auch, wie unkritisch Pseudomedizin in Deutschland teilweise gesehen, angewendet und leider oft auch gefördert wird.

Die Menschen, die in dem Verein der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. tätig sind, handeln zweifelsohne aus edler Absicht und haben nicht vor, Schaden zu verursachen. Sie haben sich aber – was problemimmanent ist – ideologisch an dieses Glaubenskonstrukt der Antroposophie gebunden und sind für wissenschaftliche und medizinisch valide Argumente, die die Abstrusität dieses esoterischen Glaubens aufzeigen, nicht mehr zugänglich. Dieses Problem haben wir ähnlich gelagert auch bei Heilpraktikern oder Anbietern anderer esoterischer Schwurbelmedizin. Sie wollen das Gute, bedienen sich aber leider unwissenschaftlicher Methoden, die im Extremfall nachhaltig schaden können.

Was tun?

Um eine “good cause fallacy” zu enttarnen, braucht es entweder Recherchearbeit, um die Hintergründe einer Organisation zu überprüfen, oder ein Wissen bzw. ein Bewusstsein für die wahre Natur oder potenzielle Gefährlichkeit der beschriebenen Methoden oder Verfahren. Kennt man beispielsweise die Hintergründe von Bioresonanztherapie (pseudowissenschaftliche Methode, die in einem Experiment selbst einem Leberkäse beste Gesundheit attestiert hat), fällt man wahrscheinlich nicht auf unwissenschaftliche “Reportagen” in Zeitschriften wie Brigitte, Bunte, Bild der Frau, Das Goldene Blatt, etc. herein, die diese unkritisch darstellen – wahrscheinlich, weil die Verantwortlichen in der Redaktion selbst daran glauben.

An dieser Stelle sei nochmals “Was wirklich wirkt”, das Buch von Natalie Grams-Nobmann in seiner überarbeiteten und erweiterten Neuauflage empfohlen. Ein Kompass durch die Welt der sanften Medizin.

Das Bedürfnis zu helfen ist ein humanistisches. Die Bereitschaft zur Hilfe und der gute Wille sind begrüßens- und lobenswert, jedoch dürfen wir uns nicht von dem Fehlschluss leiten lassen, dass der Zweck im Zweifel die Mittel heiligt. Besonders im Bereich der Medizin, wo es um das körperliche und seelische Wohl von Menschen geht, sollten wir genauer hinsehen, kurz recherchieren und im Zweifel nachfragen.

 

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