Was sind eigentlich “Totimpfstoffe”? – Eine kleine Geschichte der Vakzine

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Die allerersten Impfgegner — “The Cow-Pock—or—the Wonderful Effects of the New Inoculation!—vide. the Publications of ye Anti-Vaccine Society”, J. Gillray, London, 1802

Impfungen gehören zu den wichtigsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen, die in der Medizin zu Verfügung stehen. Das Thema Impfen und Impfstoffe ist momentan durch die Corona-Pandemie eine der zentralen Debatten in unserer Gesellschaft geworden. Es zeigt sich in eben diesen Debatten jedoch auch, dass viele der Bedenken, ein großer Teil der Unsicherheit und so auch teilweise die strikte Ablehnung der Impfung auf fehlenden Hintergrundinformationen beruht oder auf falsche Annahmen zurückzuführen ist.

Im “Normalfall” müsste man sich damit eigentlich auch nicht so im Detail auskennen, aber wenn man vor der Frage steht, ob man sich impfen lassen sollte, und wenn ja, dann mit welchem Impfstoff, dann ist es unheimlich wichtig, dass man seine Entscheidung auf Basis von korrekten und umfassenden Informationen treffen kann.

Eine der Fragen, die momentan häufig diskutiert werden, ist ob man lieber auf einen “Totimpfstoff” warten solle, wenn man Bedenken zu einem der mRNA- oder Vektorimpfstoffe hat. Der Hintergrund ist wahrscheinlich, dass die Tatsache, dass es diese schon lange gibt, ein vermeintliches Gefühl des “bewährten, sicheren Impfstoffs” vermittelt, der ja nichts mehr anrichten kann, weil er ja “tot” ist. Und wenn das dann ein Totimpfstoff ist, dann ist der mRNA-Impfstoff am Ende ein Lebendimpfstoff…? — Nein, spätestens jetzt wird da nämlich so einiges miteinander verwechselt. Denn was sich manche Menschen unter Totimpfstoffen vorstellen, ist etwas ganz anderes als die Realität. Der Impfstoff, der oft in den Medien als “Totimpfstoff” bezeichnet wird, nämlich Novavax, ist zum Beispiel ein rekombinanter Proteinimpfstoff, bei dem das Spike-Protein mithilfe von Baculoviren in Mottenzellen hergestellt wird, und der zur Klasse der sogenannten Subunit-Impfstoffe gehört. Das klingt im ersten Moment ziemlich kompliziert, ist es aber im Grunde gar nicht. Daher hier nun ein paar Erklärungen, wie das eigentlich alles zusammenhängt. Denn “tot” sind so gesehen alle Corona-Impfstoffe, die wir haben. 

Jenner, Pasteur & Co

Louis Pasteur
Louis Pasteur (Studioaufnahme um 1890)

Der englische Arzt Edward Jenner (1749–1823) infizierte im Jahre 1796 einen Jungen mit Kuhpocken. Es stellte sich heraus, dass dieser später auch gegen gewöhnliche Pocken immun war. Jenner nannte den Impfstoff “Vaccine”, nach dem lateinischen Wort für Kuh: “vacca”. Auch wenn man die Ursache von Infektionskrankheiten noch nicht verstand, so war offensichtlich, dass diese “Vaccination” hilft, die Pocken einzudämmen, auch wenn es seinerzeit Impfgegner gab, die befürchteten, durch diese Behandlung zu einer Kuh zu werden. Der Chemiker, Biochemiker und Physiker Louis Pasteur (1822–1895) formulierte 1864 schließlich die Keimtheorie und Robert Koch (1843–1910) erbrachte 1876 den Nachweis der Krankheitserreger von Milzbrand. Mit diesem neu gewonnenen Wissen konnte man nun Impfstoffe entwickeln, die sicherer und gezielter wirken.

Und genau aus dieser Zeit stammt das Wort “Totimpfstoff”. Es hat heutzutage eigentlich eher historische Bedeutung: Als seinerzeit noch Personen wie Pasteur und deren Nachfolger die ersten Generationen der Impfstoffe entwickelten, handelte es sich vorwiegend um „attenuierte Lebendimpfstoffe“ – Impfstoffe, bei denen man die Erreger soweit abschwächte, dass sie den Geimpften nicht mehr erkranken ließen, sich jedoch in seinem Körper noch vermehren und somit gute Immunität erzeugen konnten. Später kamen dann die „Totimpfstoffe“ dazu: man inaktivierte („tötete“) die Erreger ab, sodass sie gar keine krankheitsähnlichen Nebenwirkungen mehr hervorrufen konnten. Ein Nachteil dieser neuen Impfstoffe: die Immunität, die sie erzeugten, war dadurch schwächer, und so fügte man meist sogenannte Adjuvantien hinzu, also Wirkverstärker.

Impfstoffentwicklung heute

In der modernen Impfstoffproduktion der letzten Jahre und Jahrzehnte wurde die Herstellung sehr komplex. Die Erreger in attenuierten Lebendimpfstoffen werden heutzutage nicht mehr durch Passagieren (einfach ausgedrückt ein Verfahren zum Verdünnen) abgeschwächt, sondern durch gezielte Mutationen, was eine Rückentwicklung zum gefährlichen Wildtyp verhindert.

Totimpfstoffe werden manchmal noch mit dem klassischen Inaktivieren eines ganzen Erregers produziert (z.B. FSME), manchmal wird dieser danach noch zerstückelt (z.B. Influenza-Spaltimpfstoffe) oder – mittlerweile eines der bevorzugten Herstellungsverfahren – man produziert nur noch hochgereinigte Proteinstückchen, die genau wie die Teile des Erregers aussehen, welcher die Immunantwort hervorruft (bei den COVID-Impfstoffen eben das Spike-Protein). Das sind dann sogenannte rekombinant hergestellte „Subunit-Impfstoffe“. Was diese gemeinsam haben: man produziert sie im allgemeinen auf lebenden Zellen, die man mit einem gentechnisch modifizierten Virus infiziert, welche in diesen Zellen dann das gewünschte Protein herstellen. Dies wird dann dort durch viele Reinigungsschritte herausgefiltert. In den meisten Fällen gilt: je hochgereinigter, desto besser verträglich, aber desto schlechter immunogen ist ein Impfstoff, also desto schlechter kann er eine Immunantwort hervorrufen – daher auch hier oft das notwendige Hinzufügen von Adjuvantien.

Was all diese Impfstoffe gemeinsam haben: es sind ganze Erreger oder Teile von Erregern, die sich im Körper des Geimpften nicht mehr vermehren können, daher verwendet man hier noch immer den Sammelbegriff „Totimpfstoffe“, obwohl korrekterweise zwischen inaktiviert, split, rekombinant und subunit unterschieden werden müsste. 

Der Natur am nächsten

Spannend sind hier die COVID-mRNA- und Vektorimpfstoffe, die in diese „alte“ Definition gar nicht so recht hineinpassen: Der große Unterschied ist nämlich, dass man keinen abgeschwächten, inaktivierten oder zerstückelten Erreger verabreicht bekommt, sondern nur den Bauplan dafür und unser Körper das gewünschte Protein daraufhin selbst baut.

Das ist im Prinzip die Variante, die der Natur am nächsten kommt, denn auch wenn wir von einem Virus infiziert werden, passiert genau das, nur wird hier beim Impfstoff eben nur ein kleines Stückchen hergestellt, das dem Körper nicht gefährlich werden kann. Was aber nun die Reaktion des Immunsystems betrifft, macht das keinen Unterschied. Ob das Antigen fertig verabreicht wird oder es unser Körper erst selber zusammenbauen muss, ändert nichts an der Reaktion des Immunsystems.

Die Vektor- und mRNA-Impfstoffe fallen also im Überbegriff genauso unter Totimpfstoffe, weil sie unserem Immunsystem dasselbe geben wie jeder andere Impfstoff aus dieser Kategorie: einen toten, nicht mehr vermehrungsfähigen Erreger oder dessen Bestandteile.

Wenn man es so vergleicht, dann haben wir hier mit den aktuellen Vektor- und mRNA-Impfstoffen gegen Corona die neueste Generation von Vakzinen mit den coolsten momentan verfügbaren Verbesserungen und Features. Quasi den modernen Hochgeschwindigkeitszug im Vergleich zur alten Dampflok, die zwar auch ans Ziel kommt, aber eben nicht unbedingt so sauber und effizient.

Für die Zukunft gerüstet

Der Vorteil von diesen neuartigen Impfstoffen ist unter anderem, dass die “Zutatenliste” minimal und die Herstellung verhältnismäßig einfach ist: Man braucht weder Adjuvantien, noch muss man irgendwelche Zellen in Hühnereiern entwickeln. Man benötigt, vereinfacht ausgedrückt, lediglich die mRNA-Information in einem passenden Transportgefäß (z.B. Nano-Lipidpartikel) und eine Lösung, in der diese schwimmen und die man verimpfen kann. Erfahrung mit dieser Technik haben wir schon seit Jahren: In der Krebstherapie wird die mRNA-Technik seit 2014 angewendet, und auch Vektorimpfstoffe sind in der Veterinärmedizin ein alter Hut: Seit über 10 Jahren wird damit geimpft, und in den USA ist sogar bereits ein mRNA-Tollwutimpfstoff für den Veterinärbereich zugelassen. Lediglich in der Humanmedizin gab es bislang keinen Bedarf dafür, umständlich und mit großen Kosten einen mRNA-Impfstoff zu entwickeln und zuzulassen, wenn wir für alle gefährlichen Krankheiten bereits funktionierende Impfstoffe haben. Mit der Corona-Pandemie hatte sich dies nun geändert, und da die nun zugelassenen mRNA-Vakzine so gute Ergebnisse zeigen, wird dies in Zukunft dazu führen, dass weitere Impfstoffe dieser Generation leichter auf den Markt kommen werden. Erst kürzlich machte die Entwicklung eines mRNA-basierten Impfstoffs gegen Borelliose gute Fortschritte und auch bei der Erforschung eines HIV-Impfstoffs ist die mRNA-Technik äußerst vielversprechend. Auch die Tatsache, dass “Updates” für einen Impfstoff durch die mRNA-Technik relativ einfach sind, wird uns in der Zukunft sicherlich bei vielen Infektionskrankheiten zugute kommen.

Ein aktueller Nachteil der mRNA- und Vektorimpfstoffe in dieser Pandemie ist allerdings die verhältnismäßig anspruchsvolle Lagerung bei tiefen Temperaturen, was in manchen Ländern logistische Probleme bereiten kann. Aber gerade hier werden dann eben konventionelle Impfstoffe wie Novavax & Co eine große Hilfe sein.

Petra Falb und Rüdiger Reinhardt