Kontroverse mit einem Pandemieleugner

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Ein Gastbeitrag von H.W.

Photo by Andrii Omelnytskyi on Scopio
Photo by Andrii Omelnytskyi on Scopio

Wie ich in einem sechswöchigen E-Mail-Austausch in die Gedankenwelt der Pandemieleugner und Querdenker eintauchte und was ich dabei gelernt habe.

Meine Geschichte beginnt unspektakulär mit einer Geburtstags-E-Mail. Einem Studienfreund, mit dem ich über fast vierzig Jahre und über Hunderte von Kilometern hinweg Kontakt gehalten hatte, übermittelte ich – wie jedes Jahr – auch im September 2020 meine Glückwünsche. Ich verband das mit einem Bericht über die aktuellen Geschehnisse in meiner Familie und der Nachfrage, wie es ihm während Corona so ergangen sei.

In seiner E-Mail-Antwort ging er zunächst auf meine Fragen ein, der abschließende Absatz machte mich jedoch ratlos: „Ich gehöre zu den Pandemieleugnern und habe echt Angst um unsere Demokratie und die Zukunft. Lese zu dem Thema sehr viel, da wird einem angst und bange. Es bleibt uns nur, uns in unserer kleinen Welt einzurichten und so gut wie möglich zu leben, hoffentlich lange noch in Freiheit und mit ausreichend Essen und Trinken.“

Ungläubiges Erstaunen

Mein alter, hochintelligenter Freund ein Pandemieleugner? Wie das? Die Pandemie war doch im wahrsten Sinne des Wortes erfüllt. Hierzu reichte ein Blick auf die weltweiten Neuinfektionszahlen der Johns-Hopkins-Universität (JHU). Und die Auswirkungen der Pandemie wurden in Fernsehen und Presse täglich vor Augen geführt.

Anfang Oktober telefonierten wir dann miteinander. Hinsichtlich seiner Pandemieleugnung war ihm aber nur zu entlocken, er „hoffe, sich hoffnungslos verrannt zu haben, glaube es aber leider nicht.“ Aber immerhin – er schien noch nicht endgültig an die Querdenker- und Leugner-Fraktion verloren.

In den nächsten Monaten nahm die zweite Covid-19-Welle Fahrt auf. Im harten Lockdown zum Jahresende erhielt ich wieder „Post“ von meinem Freund. Er empfahl mir den „sehr interessanten“ Corodok-Beitrag „Der Inzidenzwert ist aktuell Null“ von Prof. Martin Schwab (Rechtswissenschaftler der Uni Bielefeld). Offensichtlich sah er ihn als glaubwürdigen Zeugen seiner Pandemieleugnung, mit dem er meine Pandemie-Gewissheit erschüttern wollte.

Bevor ich noch antworten konnte, ging es Schlag auf Schlag weiter. Die nächste Mail unterstellte anhand eines Videos dem World Economic Forum (WEF), verkörpert durch Bill Gates und WEF-Initiator Klaus Schwab, böse Absichten: Einziges Ziel des Lockdowns sei es, unsere demokratische Freiheit dauerhaft einzuschränken und die Bevölkerung gefügig für den „Great Reset“ zu machen. Es folgte eine Mail mit Hinweis auf die arte-Dokumentation „Das Geschäft mit der Angst“. Thema: die zweifelhaften Methoden der Pharma-Lobby bei der Schweinegrippe im Jahr 2009. Als Nachtrag zu dieser „Pharma-Schelte“ reihte sich noch ein Vortrag zum Thema Vitamin D an, das als Schutz gegen das „harmlose“ Corona-Virus angepriesen wurde.

Zunächst Suche nach Gemeinsamkeiten

Nachdem ich mich umfassend über die Hintergründe der vier angesprochenen Themen informiert hatte, antwortete ich. Zunächst handelte ich den Komplex Gesundheit ab, speziell die Themen Pharma-Industrie, Angst, Vitamin D und gesunde Lebensweise. Hier vermutete ich Einvernehmen mit ihm. Auf das Thema Angst ging ich dabei näher ein. Denn während bei der Schweinegrippe die Angstmacherei vor dem Virus vorherrschendes Thema war, rückte bei Corona die Angst vor dem Staat, dem Verlust der bürgerlichen Freiheiten und einer etwaigen Zwangsimpfung mehr und mehr in den Vordergrund. Ausdrücklich betonte ich deshalb, dass es falsch sei, BioNTech mit der Lobbyarbeit der Pharmaindustrie bei der Schweinegrippe in einen Topf zu werfen und dass ich deren mRNA-Impfstoff für eine geniale und segensreiche Erfindung hielte. Den Corodok-Bericht und das WEF-Video handelte ich nur kurz ab. Bei dem einen ging es um juristische Spitzfindigkeiten, bei dem anderen um eine Staatsverschwörungsideologie. Am Schluss meiner Mail äußerte ich die Hoffnung, dass sich seine Angst vor dem Ende sämtlicher Freiheiten noch nicht allzu sehr festgesetzt habe und wünschte ihm ein hoffnungsvolles neues Jahr.

Kontroverse Antwort mit harten Anschuldigungen gegen Staat und Virologen

Die ausführliche Antwort ließ nur wenige Stunden auf sich warten:

„Danke für deine ausführliche Mail und deine Einschätzungen. Diese teile ich leider gar nicht.
Die 2020er Totenzahlen zeigen eindeutig, es gibt keine Übersterblichkeit, seit April komischerweise keine Grippe mehr, stattdessen Cor.? Wie kommt das? Wie wird eine C-Infektion nachgewiesen? Durch diesen unsäglichen PCR-Test, der in der Drosten-Methodik nichts nachweist! Dies ist Fakt und von tausenden Wissenschaftlern festgestellt. Warum sprechen Presse und Bundesregierung immer noch von einer Infektion und von einer Pandemie? Es gibt keine Pandemie! Schaut man sich in den Krankenhäusern um, dann gibt es die übliche Belegung. Die genannten Infektions-, Sterbe- und Belegungszahlen sind gelogen. Warum nehmen Presse und Bundesregierung das nicht zur Kenntnis? Warum zerstört die Bundesregierung den deutschen Mittelstand? Wem nutzt dies? Warum schwafeln alle Politiker von einer neuen Normalität? Und erst die Impfung bringt die Lösung? Ich erinnere an die Schweinegrippe und Herrn Drosten, der damals schon völlig falsch lag und gelogen hat. Warum hört die Bundesregierung auf solch einen Stümper? Ich habe tausend solcher Fragen. Nehme ich die Antworten als Puzzle und füge sie zusammen, dann wird ein Bild daraus. Ich befürchte, dass wir in 3-5 Jahren mehr Klarheit darüber haben, was sich die westliche Elite mit ihren Untertanen ausgedacht hat.“

Im Weiteren greift er den von mir gelobten BioNTech-Impfstoff an, beruft sich anschließend auf von ihm gelesene Literatur und redet sich folgendermaßen in Rage:

Die Impfung mit dem mRNA-Impfstoff ist ein Verbrechen an der Menschheit, denn man nimmt die Menschen als Versuchskaninchen. Übrigens hat Bill Gates im September 2019 für 50 Mio. Aktien von BioNTech gekauft!? Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Aber warum denke ich so und du völlig anders über das Thema? Ich habe in den letzten Jahren viel Literatur über die amerikanische Politik gelesen und erkenne dabei mehr und mehr, wie der Westen und unsere Wertegemeinschaft regiert wird von Verbrechern, die sich eine passende Presse zugelegt haben und die die Menschen ausbeuten. Dies lässt sich an vielen Beispielen belegen.

Das zeigte nicht mehr die geringste Kompromissbereitschaft gegenüber meinen Ansichten, enthielt völlig unsinnige Behauptungen und eine tiefsitzende Staatsverdrossenheit. Meine einzige Absicht war es doch gewesen, ihn von Realität der Pandemie und der segensreichen Auswirkung des BioNTech-Impfstoffs zu überzeugen.

Diskussion abbrechen oder weitermachen?

Innerhalb der nächsten 24 Stunden erhielt ich sechs weitere Mails mit insgesamt zehn weiterführenden Links, die seine vorher geäußerten Tiraden gegen Staat und Presse belegen sollten. Von daher war ich jetzt nahe daran, die Diskussion abzubrechen – eine weitere Auseinandersetzung auf Sachebene erschien mir hoffnungslos. In Anbetracht unserer langen Freundschaft und auch ein wenig aus sportlichem Ehrgeiz, nicht bereits jetzt mein „Duell“ mit ihm verloren zu geben, entschloss ich mich zu einer Antwort. Dort setzte ich zunächst wieder auf Gemeinsamkeiten, erinnerte ihn an Erlebnisse in unserer Studienzeit und bat ihn schließlich zu erklären, warum alle Staaten Corona-Fallzahlen und -Todesfälle ermitteln und kaum eine Regierung an der Gefährlichkeit von Covid-19 zweifelt.

Meine Fragen kanzelte er zwar mit hanebüchener Argumentation ab, antwortete aber sonst recht wohlwollend. Er habe sich über meine E-Mail gefreut, denn er habe befürchtet, dass ich angesichts seiner Äußerungen den Kontakt zu ihm abbrechen würde. Und er wisse, dass er extreme Standpunkte vertrete, die für einen Unbedarften zunächst sehr verschwörungstheoretisch klingen. Wahrscheinlich war sich mein Freund der in seiner Formulierung „unbedarft“ steckenden Herabwürdigung meiner Person gar nicht bewusst. Vielmehr hatte er sich eine tiefe Querdenker-Überzeugung zu eigen gemacht, die zugleich deren ganzes Dilemma offenbart: Querdenker fühlen sich als „Aufgewachte“ mit exklusivem Wissen, die sich von der breiten Masse der unbedarften „Schlafschafe“ abheben und diese mit ihren Ansichten missionieren wollen.

Überschwemmung mit E-Mails und ein zunehmend rauer Ton

Einen solchen Missionierungsversuch startete er jetzt bei mir. In den nächsten drei Wochen geriet ich unter gefühl­ten Dauerbeschuss. Serienweise prasselten Links und aus dem Internet kopierte Texte auf mich ein, nur selten unterbrochen von einigen selbstformulierten Mails, in denen er mich mit einer zunehmend bissigeren Wortwahl attackierte. Seine Link-Flut machte folgende Absicht unübersehbar: Er wollte seine selbst angesprochenen „tausend Fragen zu Corona“ als legitim erscheinen lassen, indem er eine Quelle angab, die dieselben Fragen aufwarf und auch gleich eine bestens in das Querdenkerschema passende Antwort lieferte.

Trotz der großen Menge der auf mich einstürzenden Mails und Links nahm mir die Zeit, fast jede der kolportierten Thesen zu überprüfen. Dabei halfen mir correctiv.org und die Faktenchecks anderer seriöser Medien. Dort waren bereits viele der Thesen als Fakes oder Halbwahrheiten identifiziert worden. Bei manchen Fehlinformationen reichte zum Aufdecken aber schlicht der gesunde Menschenverstand.

Neben dieser schnellen Fakten-Recherche eignete ich mir in Fachzeitschriften Hintergrundwissen zur Entschlüsse­lung des SARS-CoV-2-Genoms und zur Vorgeschichte der mRNA-Impfstoff-Entwicklung an. Insbesondere interes­sierte mich aber das Geschehen rund um die Schweinegrippe. Denn hier lag nach meiner Auffassung nicht nur ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Corona-Pandemieleugnung, sondern auch für die verspätete Pandemie-Erklärung der WHO und die zögerliche Impfstoffbeschaffung durch die EU. Einen geradezu prophetischen Bericht hierzu fand ich in einer im Juni 2019 in der Pharmazeutischen Zeitung veröffentlichten Aufarbeitung des zehn Jahre zurückliegenden Geschehens.

Dieses Hintergrundwissen erwies sich als sehr hilfreich, die auf Denkfehlern beruhende oder bewusst irreführende Argumentation der Pandemieleugner besser zu durchschauen.

Verkehrte Welt – Fakten werden als Fakes wahrgenommen

Auf Fakten und Widerlegungen ging mein Freund im weiteren Verlauf nicht mehr ein. Angesichts meiner vergeblichen Bemühungen änderte ich meine Strategie. Fortan behauptete ich nur noch, all seine Thesen widerlegen zu können und konfrontierte ihn ansonsten mit meinen eigenen Ansichten. Beispielsweise, dass ich es pervers fände, dass angesichts voller Intensivstationen auf Querdenkerdemos „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ gesungen wurde. Und ich fasste meine Grundüberzeugungen noch einmal zusammen, nämlich…

… dass es sich bei Covid-19 um eine Pandemie und Naturkatastrophe handelt,

… dass der SARS-Virus Covid-19 erheblich gefährlicher und ansteckender ist als ein “normaler” Grippevirus,

… dass uns nur die Impfung, insbesondere die neue mRNA-Methode, vor einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Desaster retten kann.

Die Antwort darauf:

„Hast du denn Belege für deine Thesen? Alle drei Punkte sind absolut nicht haltbar, grob falsch und tragen zur Volksverdummung bei. Wie kommst du auf diese kruden Aussagen, das ist wirklich Verschwörungstheorie, um dem Volk Angst zu machen.

Werdegang zum Pandemieleugner

Um überhaupt noch im Gespräch zu bleiben, stellte ich ihm nun die persönliche Frage, wie er zum Pandemieleugner geworden sei. Hierauf ging er wortreich ein. Er hätte nicht verstanden, wie man bei 16 Toten in China von einer Pandemie sprechen könne. Und dass eine „neue Normalität“ kommen müsse. Die nackten Zahlen des RKI hätten die Hysterie in den Medien und in der Politik nicht wiedergegeben. Die wirklichen Experten würden nicht gehört, verunglimpft und es würden Denkverbote ausgesprochen. Die deutsche Wirtschaft würde ruiniert. Es gehe nicht um Gesundheit, sondern um Profit für die Pharmaindustrie. Und um einen Umbau unserer Gesellschaft durch die Hintertür. Für diese Aufgabe würde die Grünen-Vorsitzende Baerbock auf dem WEF zum „zukünftigen Sternchen“ aufgebaut.

Vieles davon hatte er bereits in den vorherigen Mails sinngemäß geäußert; es brachte mich in der Beantwortung meiner Frage nicht viel weiter. Klarheit schaffte dann aber eine nächste Schwemme von Mails und Links. Hier zeichneten sich zwei Schwerpunkte ab, die unmittelbar mit seiner Pandemieleugnung zu tun hatten: Zum einen die Verharmlosung von Corona als Grippe (inkl. Anzweifeln der Übersterblichkeit) und zum anderen das Anzweifeln des PCR-Tests von Drosten.

Der Gute, der Böse und ein entscheidender Fehlschluss

Prägende Figuren für die Schwarz-Weiß-Sicht der Querdenker sind Dr. Wodarg und Prof. Drosten. Beide hatten bei der Schweinegrippe eine wichtige Rolle gespielt. Dr. Wodarg ist die unantastbare Lichtgestalt der Szene. Von ihm sagte mein Freund, dass er jedes Wort von dessen Interview bei KenFM unterstreichen könne. Als ausgewiesener Fachmann stelle Wodarg ziemlich genau seine Einschätzung zum Thema Corona und Impfung dar. Völlig konträr hingegen seine Einschätzung von Professor Drosten und dem von ihm entwickelten PCR-Test.

Folgendes Zitat zeigt, warum die Abwertung des PCR-Tests so existentiell für die Pandemieleugner und deren juristisch angehauchte Unterstützer ist:

„Der Startpunkt zu der sog. Pandemie ist der PCR-Test!!! Der ist mittlerweile als vollständig falsch und unbrauchbar überführt – nicht von mir, sondern von zahlreichen international anerkannten Wissenschaftlern!! Aus einer falschen Tatsache kann man keine richtigen Schlussfolgerungen (Pandemie etc…) ziehen. Was machen die Regierungen aber aus dieser Geschichte?? Sie nehmen den Menschen ihre Freiheit, machen ihnen Angst, wollen sie mit Zwang impfen gegen etwas, was gar nicht da ist!!
Meine Logik ist folgende: Falscher PCR-Test – keine Infizierten – keine Pandemie – kein Lockdown – normale Grippe!!!!!“

Wie ich unsere Diskussion beendete

Nach dieser schwachsinnigen Beweiskette gab ich jegliche Hoffnung auf „Bekehrung“ meines Freundes auf. Da ich nicht als Verlierer unseres „Duells“ dastehen wollte, bot ich ihm sozusagen ein „Unentschieden“ an. Mein Angebot kleidete ich in das Gewand eines juristischen Prozesses und wies ihm die Rolle des Anklägers und mir die Rolle des Verteidigers unseres Staatssystems zu. Die Zeit sollte das Urteil sprechen.

Für ein Aufrechterhalten unserer Beziehung stellte ich angesichts der vorher auf mich eingestürzten Link-Flut aber eine Bedingung: Ich würde nur noch von ihm selbst formulierte Mail-Texte akzeptieren, also keine reinen Links oder Copy&Paste-Inhalte aus irgendwelchen Webseiten. Andernfalls würde ich Links und Mails sofort löschen.

Daran hielt er sich nicht. Er sandte eine weitere Mail mit dem etwas merkwürdigen Betreff “Vorsicht nicht lesen!!“ In die Mail hatte er den Text eines Beitrags einkopiert, mit dem er seiner Pandemieleugnung offensichtlich das letzte Wort verschaffen wollte. Titel: „Kanadischer Top-Pathologe zur Corona-Pandemie: Größter Schwindel, der jemals an der Menschheit verübt wurde.“

Mein letzter „Brief“

Auf diese letzte “Verschwörungs-Info” habe ich dann – anders als „versprochen“ – doch noch einmal sehr persönlich geantwortet und mich dabei einer bildhaften Sprache bedient. Hier der (verkürzte) Wortlaut:

„Nett, wie Du mich vor dem Artikel mit Deinem Betreff warnst: „Vorsicht nicht lesen!!“ Tatsächlich enthält der Beitrag ein gefährliches Gift, das zurzeit viral über Verschwörungs-Kanäle verbreitet wird. Man kann das verquere Gedankengut tatsächlich mit einem Virus vergleichen, das in einem russischen Labor namens RT zwecks hybrider Kriegsführung ersonnen wurde, zunächst einen gewissen KenFM infizierte und inzwischen – mehrfach mutiert – auch ehemals halbwegs seriöse Medien ergriffen hat. Aber keine Angst, ich bin gegen dieses Virus immun.

Eigentlich wollte ich von Verschwörungsseiten abgekupferte Texte sofort löschen. Damit wollte ich Dich dazu animieren, den Inhalt der von Dir als toll empfundenen Beiträge kritisch zu hinterfragen und anschließend mit eigenen Worten deren Botschaft wiederzugeben. So, hatte ich gehofft, lernst Du wieder selbstständiges Denken und Formulieren. Dazu bist Du offensichtlich nicht mehr imstande. Du hast einen von Rubikon-Autor Jens Bernert stammenden Text wörtlich übernommen. Ein solches „Abschreiben“ ist zu Recht verpönt. In der Schule gab es dafür eine „6“, bei Dissertationen wird der Dr.-Titel aberkannt. Dir erkenne ich aufgrund Deines Abschreibens die Fähigkeit ab, noch selbstständig denken zu können.

Aus unserer Diskussion ziehe ich folgende Schlüsse: Ein Querdenker-Rechercheteam sucht weltweit nach Autoren, deren Aussagen/Botschaften in das Querdenker-Narrativ passen. Passen die Original-Berichte nicht ganz in das bevorzugte Schema, werden sie mit Halbwahrheiten und Lügen redaktionell „aufbereitet“. Die so entstandenen Beiträge werden virulent im Netz weiterverbreitet, im deutschen Sprachraum sind das vor allem „Superspreader“ wie KenFM und Rubikon/corodok, die bei intellektuellen Querdenkern hohes Ansehen genießen.

Aktuell begeht die Politik leider viele Fehler. Diese entstehen aber nicht aus dem Bedürfnis heraus, uns für alle Zeiten einzusperren, sondern aus Hilflosigkeit und inzwischen wohl auch angesichts der langen Katastrophenlage wegen mentaler Erschöpfung. Eigentlich besteht aber genügend Grund zum Optimismus. Dank der Impfungen und neuer Medikamente wird die Pandemie demnächst besiegt sein. Vielleicht solltest Du bereits jetzt zum Klima-Leugner umschulen, denn hier wird es sicherlich in den nächsten Jahren neue Einschränkungen geben – nicht durch Bill Gates verursacht, sondern einfach aus Gründen der Notwendigkeit.

Was Deine aktuellen Ängste vor staatlichem Freiheitsentzug angeht, wünsche ich Dir gute Besserung. Vielleicht kommen wir in späteren Zeiten ja mal wieder zusammen. Bis dahin grüßt Dich H.“

Anschließend habe ich nichts mehr von ihm gehört.

Was hat die Auseinandersetzung mit mir gemacht?

Mit der nachträglichen Verarbeitung meiner Auseinandersetzung tue ich mich schwerer als mit der Diskussion selbst. Letztere war für mich eine Art intellektueller Wettkampf. Zudem nutzte ich sie als Intensivkurs für verqueres Denken. Aufgrund meines „Studiums“ von Rubikon und Corodok könnte ich mühelos eine neue Verschwörungstheorie konstruieren. Gelernt habe ich auch, dass es sinnlos ist, Querdenker mit Fakten oder einer nüchternen Herangehensweise widerlegen zu wollen. Erfolgversprechender ist es, verquere Argumente mit Gegenfragen zu kontern, eine emotionale Sprache zu verwenden und dabei selbst unbeirrt bei seiner eigenen Meinung zu bleiben. Die sollte durch Wissen und Faktenkenntnis begründet sein, um nicht selbst ins Wanken zu geraten. Hilfreich ist es auch, die persönliche Motivation zum Eintritt in den Querdenker-„Glauben“ zu ergründen, um hier ggf. Ansatzpunkte für einen möglichen Ausstieg zu finden.

Wut und Angst

Trotz meines Versuchs, die Auseinandersetzung rein verstandesmäßig anzugehen, bin ich gefühlsmäßig nicht ungeschoren davongekommen. Dem erstaunten Unverständnis gegen die Querdenkerthesen meines Freundes folgten Verärgerung über seine zunehmend rüde Wortwahl und seine intellektuelle Überheblichkeit. Je mehr mir seine überzogene Angst vor Staat und Impfzwang bewusst wurde, desto eher war ich geneigt, ihn als Opfer der Querdenker-Ideologie zu betrachten. Das lenkte meinen Ärger und zunehmend auch meine Wut auf die Agitatoren, Hauptmedien und fanatischen Mitläufer der Pandemieleugner-Szene. Inzwischen reagiere ich schon allergisch, wenn ich auch nur eine milde Form querdenkerischer Thesen höre. Beispielsweise wenn Leute durchaus berechtigte Zweifel an einzelnen Lockdown-Maßnahmen äußern, dabei dem Staat aber unterschwellig böse Absichten unterstellen und/oder die Gefährlichkeit des Virus in Abrede stellen. Und die dann auch noch überrascht tun, wenn man sie in die Ecke der Querdenker stellt.

Ein Belächeln der Querdenker ist mir gründlich vergangen. Zu meiner Wut gegen sie gesellt sich zunehmend auch Angst. Wenn ich Reportagen von Querdenker-Demos sehe, werde ich unwillkürlich an den Horrorfilm „The Walking Dead“ erinnert, wo ein Virus die befallenen Menschen zu Untoten gemacht hat. In unserem Fall haben geistige Brandstifter ein solches Verschwörungs-„Virus“ in die Welt gesetzt. Ihr Ziel: unsere Gesellschaft zu spalten und der Demokratie einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Aus ihrer Anhängerschaft haben sie durch permanente Angsterzeugung vor dem Staat eine Glaubensgemeinschaft geformt, die Argumenten nicht mehr zugänglich ist. Und die so fest an ihre Thesen glaubt, dass die Gefahr von Überzeugungstätern aus ihren Reihen ständig wächst.

Was können Staat und Medien in Zukunft besser machen?

Erste Schritte sind gemacht: Radikale Querdenker wurden vom Staat unter Beobachtung gestellt. Youtube löscht inzwischen staatszersetzende Berichte. Einschlägige Alternativ-Medien wie KenFM und corodok sowie deren akademische Argumente-Zulieferer können aber offensichtlich unter dem Siegel der Meinungsfreiheit und unter Berufung auf die freie Lehre ohne staatliche Sanktionen agieren. Hier bleibt es den seriösen Medien vorbehalten, nicht nur klare Lügen mit Faktenchecks zu widerlegen, sondern auch die teilweise raffinierte Scheinlogik einiger Alternativ-Medien zu entlarven und deren professorale Unterstützer argumentativ unter Druck zu setzen.

Langfristig muss der Staat in der schulischen Bildung neben der Vermittlung eines breiten Allgemeinwissens auch das Leseverständnis und damit einhergehend die Medienkompetenz verbessern, also das kritische Hinterfragen jedweder Berichte. Eine derart sichergestellte hohe „Herden-Intelligenz” dürfte den bestmöglichen Schutz vor Volksverführern darstellen.

Zunächst aber heißt es, nach dem bevorstehenden Ende der Pandemie möglichst viele Querdenker wieder in die Gesellschaft zu integrieren und der nun wieder aufflammenden Klimaleugnung von vornherein den Boden zu entziehen.

H.W.

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