Der Impfstopp für den Impfstoff?

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Ein Impfzentrum auf Büchern mit Gesetzestexten, im Hintergrund Silhouetten von Viren

Was man wissen muss, wenn man über AstraZeneca und Thrombosen redet

Im Moment beherrscht dieses Thema die Medien wie kaum ein zweites: Die Bundesregierung hat die Verimpfung des AstraZeneca-Vakzins bis zur weiteren Klärung ausgesetzt, weil – wie es zunächst hieß – Thrombosefälle im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten waren. Die Reaktionen reichen von von Unverständnis geprägter Empörung bis hin zu gefühlter Bestätigung für Kritiker und Impfgegner. Es mehren sich die Vergleiche von Thromboserisiken des Rauchens, der Einnahme der Pille, des den Daten entnehmbaren Risikos beispielsweise des BT/Pfizer-Impfstoffs; eine rege Diskussion entstand, was denn jetzt nun wie vergleichbar sei. Es handle sich hier um eine spezielle Sinusvenentrhombose, die Pille sei nicht vergleichbar; Sinusvenentrhombosen träten auch bei der Pille auf, was es nun doch vergleichbar mache – der Diskussionseifer ist mindestens so groß wie die Verwirrung.

Was ist denn nun genau passiert?

Das Paul-Ehrlich-Institut schreibt: “In sieben Fällen (Stand 15.03.2021) wurde in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca eine spezielle Form von schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen festgestellt.” Es handle sich dabei um eine schwere Krankheit, die außerdem schwer zu behandeln sei. Von den sieben betroffenen Personen sind drei verstorben. Diese Fälle traten innerhalb von vier bis 16 Tagen auf und sind statistisch signifikant höher, als man normalerweise in der Bevölkerung erwarten würde. Details hat das PEI hier zusammengefasst.

Nach aktuellem Wissensstand ist ein kausaler Zusammenhang nach der Einschätzung unter anderem von Prof. Lauterbach sowie diverser anderer Quellen, sehr wahrscheinlich. Der entscheidende, und medizinisch auch interessante Punkt ist der, dass die Sinusvenenthrombose streng genommen nur ein Symptom der eigentlichen Nebenwirkung, nämlich eines spontanen heparininduzierten Thrombopeniesyndroms, welches eine prothrombotische, also thromboseinduzierende Thrombozytopenie, einem extremen Mangel an für die Gerinnung wichtigen Blutplättchen, auslöst. Genauer gesagt eine sogenannte “HIT-mimicking disorder”, also eine “nachahmende Erkrankung”, weil ja kein Heparin gegeben wurde. Die Sinusvenenthrombose ist dann, neben den ebenfalls beobachteten Hauteinblutungen, eine Folge dieser Thrombozytopenie. Eine genauere Beschreibung findet sich auf dem Twitter-Account @LJohnsdorf, einem Anästhesisten und Notarzt.

Warum wurde auf einmal gestoppt, und warum gerade jetzt? Und WAS wurde eigentlich gestoppt?

Am Freitag, den 12.03. lag die Häufigkeit der aufgetretenen Komplikationen dieser Art noch im Rahmen des zu Erwartenden. Am Montag, den 15.03. wurden zwei weitere Fälle bekannt, das Ergebnis der Observed- vs. Expected-Analyse, dem Vergleich zwischen der Anzahl zu erwartenden und der tatsächlich aufgetretenen Fälle, gab genug Anlass zur Annahme eines Risikos.

Als Folge dessen hat das Paul-Ehrlich-Institut empfohlen, die Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca in Deutschland vorsorglich auszusetzen, um die Fälle weiter zu analysieren. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ist dieser Empfehlung gefolgt. Nun wird die dafür zuständige Abteilung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) die vorliegenden Daten aller mit dem Wirkstoff geimpften Personen bewerten und eine Einschätzung abgeben.

Update 18.03.2021: Die Prüfung der EMA verlief wie schon erwartet mit einem positiven Ergebnis. Zusammengefasst wurde festgestellt:

        • Der Nutzen des Vakzins beim Kampf gegen Covid-19, was seinerseits auch Thrombosen verursachen kann, ist immer noch höher als die potenziellen Risiken.
        • Der Impfstoff kann nicht mit einer generell erhöhten Gefahr von Thrombosen in Verbindung gebracht werden
        • Es gibt keine Hinweise auf ein Problem einer einzelnen (beispielsweise verunreinigten) Charge
        • Der Impfstoff kann unter Umständen mit den sehr selten aufgetretenen Thrombozytopenien in Verbindung gebracht werden, die in seltenen Fällen zu den besagten Sinusvenenthrombosen führen

Im Nachgang an diese Meldung wurde die Impfkampagne mit dem AstraZeneca-Vakzin wieder aufgenommen.
Originalveröffentlichung bei der EMA:
https://www.ema.europa.eu/en/news/covid-19-vaccine-astrazeneca-benefits-still-outweigh-risks-despite-possible-link-rare-blood-clots

Aber hat damit der Impfstoff damit seine Zulassung verloren? Nein – und das ist sehr wichtig zu betonen! Die Zulassung ruht auch nicht, der Impfstoff ist weiter zugelassen. Der Stopp ist nur eine Anweisung an die Impfzentren auf Basis dieser Empfehlung. Man könnte arzneimittelrechtlich gesehen genauso gut weiter impfen, die Untersuchung der EMA hat damit nichts zu tun. Diese passiert sowieso automatisch, sobald eine solche Auffälligkeit auftritt. Genau genommen dürfte der Impfstoff auch noch “legal” in Arztpraxen verabreicht werden, der Stopp ist kein Impfstoff-Stopp, sondern ein Impfkampagnen-Stopp. Dass das Astra-Zeneca-Vakzin momentan nicht frei auf dem Markt verfügbar ist, ist der einzige Grund, warum dies im Moment nicht passieren kann. Es wäre auch naheliegend, wenn diese Möglichkeit einer solchen Einflussnahme auf die Impfstoffverteilung mit einen Grund dafür darstellt, dass die Impfung noch nicht auch an Arztpraxen überantwortet wurde. Denn wenn Komplikationen mit Impfstoffen auftreten, dann immer relativ zeitnah zu der Impfung (was auch ein Grund dafür ist, warum wir “Langzeitdaten” in diesem Sinne nicht brauchen).

Wenn eine gewisse Zeit verstrichen ist, können wir auch besonders aufgrund der immensen Anzahl von geimpften Personen auf eine ausreichende Datenbasis blicken, um weitere Komplikationen nahezu auszuschließen. Zum Vergleich: Dass Narkolepsie unter bestimmten Umständen eine Nebenwirkung des Pandemrix-Impfstoffs sein kann, wurde zwar erst rund ein Jahr nach Beginn der Impfung veröffentlicht, die ersten Fälle traten jedoch recht bald, ziemlich am Anfang auf. Es fehlte nur eine ausreichende Datenbasis, um die Impfung als ursächlich zu identifizieren. Aber durch die schiere Masse an Impfungen, die momentan weltweit durchgeführt werden, haben wir bereits mehr Daten als jemals bei einer Impfaktion zuvor. Das macht die aktuellen Impfstoffe zusätzlich sicher.

Der entscheidende Unterschied

Sämtliche Vergleiche des Risikos einer AstraZeneca-Impfung mit anderen Risikofaktoren, insbesondere der Antibaby-Pille, mögen medizinisch vergleichbar sein oder auch nicht, der entscheidende Unterschied liegt jedoch an ganz anderer Stelle: Jede Einnahme hormoneller Verhütungsmittel ist in dem Sinne freiwillig, als das sie nicht staatlich empfohlen wird. Der Verkauf der Pille ist keine staatlich organisierte Veranstaltung, die vom Bund getragen und von Ländern und Kommunen organisiert und durchgeführt wird.

Hormonelle Verhütungsmittel bergen Risiken wie andere Medikamente auch, aber dort ist dies bekannt und wurde im Beipackzettel vermerkt, die den Präparaten beiliegen müssen, und auch im Internet komplett im Wortlaut verfügbar sind. Wenn im Laufe des Einsatzes eines Medikaments neue Nebenwirkungen auftreten, werden diese ebenfalls untersucht und die Angaben im Beipackzettel entweder angepasst, oder – sollte das neu erkannte Risiko im Verhältnis des Nutzens zu groß sein – das Medikament gegebenenfalls vom Markt genommen. Der “Riegel”, der dem hier vorgeschoben würde, also der Punkt, an dem die Verbreitung des Medikaments gestoppt würde, ist die Zulassung, und diese hat eine rein medizinische Basis.

Hier handelt es sich aber um eine staatliche Impfkampagne, die im Rahmen der Pandemiebekämpfung durchgeführt wird. Sie ist eine, zwar freiwillige, aber immer noch von der Bundesregierung initiierte und vor allem finanzierte Aktion, bei denen der Bund ein Risiko trägt, weil er sie explizit empfiehlt. Damit kommt ein weiterer “Riegel” ins Spiel, den man der Impfstoffverteilung vorschieben kann, nämlich eine vom Bundesministerium für Gesundheit getroffene Entscheidung, ob ein spezielles Vakzin zum Einsatz kommt oder nicht. Diese Entscheidung muss nicht notwendigerweise nur medizinisch begründet sein, es spielen auch Faktoren der Haftung mit hinein, sowie diverse andere juristische Aspekte, die mit dem Gesamtapparat der Impfkampagne zu tun haben. Auch hier spielt eine Risiko-Nutzen-Analyse eine Rolle, jedoch eben nicht nur eine streng medizinische.

Das BMG ließ entsprechend verlauten, für die Astrazeneca-Covid-19-Impfung sei die seltene Nebenwirkung einer Sinusvenenthrombose mit teils tödlichem Verlauf bisher nicht in der Patienteninformation aufgeführt, außerdem unterscheide sich die staatlich empfohlene Impfung von Gesunden arzneimittelrechtlich von der Verordnung eines Arzneimittels. So seien Vertrauen und Transparenz bei Arzneimittelverordnung zwar immer wichtig, bei Impfungen wegen der breiten Anwendung bei Gesunden aber ganz besonders.

Dieser Riegel, der jetzt dem AstraZeneca-Impfstoff vorgeschoben wurde, ist eine reine Vorsichtsmaßnahme auf Basis einer Empfehlung des PEI, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese schwere, wenn auch extrem seltene, Komplikation bisher eben nicht im Beipackzettel des Vakzins steht. Ob diese darin stehen wird, prüft zur Zeit das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) bei der Europäischen Arzneimittelagentur, eine Stellungnahme wird ab morgen, Donnerstag, den 18.03.2021 erwartet. Bis dahin ist die Zulassung weder ausgesetzt noch zurückgezogen, der Impfstoff wird ja andernorts auch weiter verimpft.

Es ist zu erwarten, das die EMA in diesem Fall auch der Empfehlung der WHO folgt, die eine Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff weiter empfiehlt. “Die WHO ist der Meinung, dass die Vorteile die Risiken überwiegen”, teilte die Organisation am heutigen Nachmittag des 17.03.in Genf mit. In der Tat sind besonders in der aktuellen Phase der Pandemie hohe Impfquoten von immens wichtiger Bedeutung, da die potenziellen Risiken von vermehrten Corona-Infektionen auch allein rechnerisch den zu erwartenden Fällen solcher Komplikationen weit überwiegen.

Entscheidung ist kritisierbar, aber nicht vergleichbar

Die vom BMG getroffene Entscheidung, die Vergabe des Impfstoffs bis zur Entscheidung der EMA auszusetzen, ist durchaus kritisierbar und, diversen Expertisen und Einschätzungen folgend, auch falsch. Als Maßstab zur Bewertung oder Einordnung jedoch andere Risikofaktoren oder auf Basis von Risiken getroffene Regelungen heranzuziehen, ist jedoch nicht unmittelbar möglich, da es sich bei dieser Entscheidung und der ihr zugrunde liegenden Situation um einen Erstfall handelt, es gibt keine mit ihr vergleichbare Situation. Sie ist jedoch auch nicht aus der Luft gegriffen, und dass solche Mechanismen im Sinne der Pharmakovigilanz, der Arzneimittelsicherheit existieren und auch greifen, zeigt andererseits auch die Akribie, mit der im Rahmen einer solchen Impfkampagne auf die Details geschaut wird.

Schade ist natürlich, dass der AstraZeneca-Impfstoff, der ja schon keinen guten medialen Start hatte, ein weiteres Mal in die Kritik gerät, und dies auch medial nicht immer korrekt oder zumindest sachlich dargestellt wird. Dabei ist gerade das auch als “Oxford-Impfstoff” bekannte Vakzin aus einem anderen Grund besonders erwähnenswert: Sämtliche Rechte an dem Impfstoff liegen bei der Universität von Oxford, AstraZeneca ist lediglich Lizenznehmer und hat sich dazu verpflichtet, den Impfstoff ohne Profit zum Selbstkostenpreis abzugeben.

Rüdiger Reinhardt

 

Weitere Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sinusthrombose
https://flexikon.doccheck.com/de/Heparin-induzierte_Thrombozytopenie
https://flexikon.doccheck.com/de/Pl%C3%A4ttchenfaktor_4
https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_89663612/nebenwirkungen-im-vergleich-pille-oder-astrazeneca-was-ist-gefaehrlicher-.html
https://www.astrazeneca.de/medien/press-releases/2020/astrazeneca-wird-europa-ohne-profit-mit-bis-zu-400-millionen-dosen-des-impfstoffs-der-universitaet-oxford-versorgen.html
https://www.ox.ac.uk/news/2020-04-30-oxford-university-announces-landmark-partnership-astrazeneca-development-and