Tone Policing

1957 Comments off

Tone Policing (auf Deutsch etwa: “Ton-Kontrolle”) ist eine Taktik, mit der das Gegenüber nicht aufgrund seiner Argumente oder Standpunkte, sondern allein wegen der Art und Weise des Ausdrucks angegriffen wird. Anstatt inhaltlich auf eine Kritik oder eine Gegenrede einzugehen, wird das Gegenüber aufgrund seiner eventuell berechtigten emotionalen Reaktion angegriffen.

Das Gespräch entwickelt sich von der (berechtigten) Kritik weg zu einer vermeintlichen Überreaktion der kritisierenden Person.

Wie funktioniert es?

Die Gesprächsregeln sind hier nicht mehr die allgemein gültigen Standards der Debattenkultur, sondern sie werden von eine*r Gesprächspartner*in willkürlich festgesetzt. Dadurch entsteht einerseits ein Machtgefälle und wird dieses Gefälle gleichzeitig aufrechterhalten, indem es nicht zu einem Gespräch auf Augenhöhe kommt. Wer sich nicht an diese Standards hält, wird von der Diskussion ausgeschlossen oder bloßgestellt. Beispiele: Emotionale Ausdrucksweise, Akzent oder Dialekt, nicht-akademische Sprache werden abgewertet und nicht ernst genommen.

Ein Beispiel

Jemand fühlt sich in einer Situation rassistisch oder sexistisch abgewertet oder beleidigt und weist die Beleidigung aufgebracht zurück und wird vielleicht sogar laut.

Statt darauf einzugehen und zu reflektieren, ob man (unabsichtlich) jemandem mit einem rassistischen oder sexistischen Stereotyp belegt hat, lehnt man sich nun bildlich gesprochen zurück, verschränkt die Arme und erklärt “also darüber können wir erst diskutieren, wenn du etwas ruhiger bist.”, oder “Kein Wunder, dass euch (Zuweisung zu einer Personengruppe, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) niemand ernst nimmt, wenn ihr euch gleich so aufregt.”

Ein anderes Beispiel ist das sich lustig machen über Rechtschreib- oder Grammatikfehler in Social-Media-Beiträgen oder geteilten Inhalten auf dem Profil der kritisierenden Person, statt eine inhaltliche Kritik an den vertretenen Positionen zu üben.

Was bewirkt die Strategie?

Wie (fast) alle Strategien der Desinformation geht es auch hier darum, das Gespräch entgleisen zu lassen (siehe Derailing). Beim Tone Policing kommt erschwerend hinzu, dass es ein deutliches Machtgefälle impliziert und so nicht nur der Tonfall kritisiert wird, sondern der Person gleich im Ganzen das Recht abgesprochen werden soll, sich zu äußern. So sind vor allem unterrepräsentierte und marginalisierte Menschen davon bedroht, vom Diskurs ausgeschlossen zu werden.

Warum ist sie so gefährlich?​

Tone Policing kann eine reflexhafte Abwehrreaktion sein, wenn man sich zu Unrecht angegriffen fühlt (“Ich bin doch kein Rassist, wie kommt die Person dazu, mir das vorzuwerfen?”), kann allerdings auch bewusst eingesetzt werden, in dem eine Person so lange provoziert wird, bis es zu einer emotionalen Reaktion kommt – die dann als “hysterisch” gebrandmarkt wird. In der Folge wird diese Reaktion dazu verwendet, die Person als nicht ernst zu nehmenden Gesprächspartner*in zu diskreditieren (“Mit X kann man gar nicht vernünftig diskutieren!”).

Und natürlich kann Tone Policing auch eingesetzt werden, auch wenn es keine wie auch immer geartete Grundlage dafür gibt – selbst die ruhigste und rationalste Ausdrucksweise kann einen nicht davor bewahren, dass ein böswilliges Gegenüber die Diskussion abbricht, “bis du dich beruhigt hast”.

Während eine Situation, bei der eigentlich alle im Gespräch bleiben wollen, durch offene und reflektierte Kommunikation bearbeitet werden kann, ist das natürlich im zweiten Fall gar nicht gewollt. Hier geht es nur darum, Menschen zum Schweigen zu bringen und aus dem Diskurs auszuschließen (Silencing).

Wenn dies bestimmte gesellschaftliche Gruppen öfter betrifft als andere, dann verzerrt es die gesellschaftliche Debatte und führt dazu, dass wichtige, aber unterrepräsentierte Stimmen seltener gehört werden.

Was tun, und was nicht?
  • Versuche, Tone Policing zu erkennen und zu vermeiden. Entwickle ein Gespür für Gesprächssituationen – ist dein Gegenüber verletzt oder gekränkt? Sehr oft hat eine emotionale oder auch scheinbar aggressive Reaktion nichts mit Dir als Person zu tun, sondern mit der Situation, in der jemand sich befindet und mit Ungerechtigkeit, mit der er*sie konfrontiert ist. Versuche also, diese nicht auf dich zu beziehen und persönlich zu nehmen.
  • Tone Policing kann ein Abwehrreflex sein. Wenn jemand aufgebracht auf etwas reagiert, was Du gesagt hast, reflektiere deine Äußerung und informiere dich eigenständig. Unsere Sprache ist voll von Stereotypen, Klischees und Abwertungen. Es ist keine Schande, dazuzulernen und sich von Problematischem zu verabschieden.
  • Es ist kein Tone Policing, sich Beleidigungen unter der Gürtellinie oder Bedrohungen zu verbitten.
Sharepics zum Teilen

Dieser Artikel erschien auch auf unserer Projektseite zur AfD, daher haben wir hier für dich die Sharepics von dort (gesichertrechtsextrem.de).

Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 7
Teil 8

Dir hat der Artikel gefallen?
Zur Durchführung von „The Facts Project“ erhalten wir keine Förderung oder Gelder aus öffentlichen Mitteln. Druckkosten, Honorare und Dienstleistungen der Medienschaffenden müssen mit den bestehenden Geldern der Organisation finanziert werden. Wir sind daher auf eure Spenden angewiesen.

„Der goldene Aluhut“ ist eine gemeinnützige Organisation.
Um uns zu unterstützen, und uns somit die Aufrechterhaltung unserer Arbeit zu ermöglichen, nutze bitte unser PayPal-Spendenkonto (oder sende deine Spende direkt an: spenden@dergoldenealuhut.de).

Spenden bis 300€ bedürfen keiner Spendenquittung. Bei Beträgen ab 300€ kontaktiert uns bitte für eine Spendenquittung.

Ihr könnt uns auch mit einer Steadymitgliedschaft unterstützen:
https://steadyhq.com/de/aluhut/

Für Steadymitgliedschaften können keine Spendenquittungen ausgestellt werden.