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Der Mere-Exposure-Effekt (dt.: Effekt des bloßen Kontakts) beschreibt die Tendenz von Menschen, Dinge positiver zu bewerten, je öfter sie ihnen ausgesetzt sind. Dieser Effekt tritt unbewusst auf – selbst, wenn wir uns nicht aktiv mit dem Objekt oder der Person auseinandersetzen.
Wie funktioniert der Mere-Exposure-Effekt?
Erstmals wissenschaftlich beschrieben wurde dieser Effekt in den 1960er Jahren von dem Psychologen Robert Zajonc. In Experimenten zeigte Zajonc seinen Proband*innen unbekannte Symbole und stellte fest, dass Symbole, die häufiger gezeigt wurden, als attraktiver und angenehmer wahrgenommen wurden als jene, die seltener auftauchten.
Unser Gehirn bevorzugt Bekanntes gegenüber Unbekanntem, weil Vertrautes als sicherer und damit als positiver wahrgenommen wird. Der Mere-Exposure-Effekt nutzt diese natürliche Neigung unseres Gehirns, um uns im Alltag Orientierung zu geben: Was wir häufig sehen oder hören, scheint ungefährlich und wird automatisch bevorzugt. Ein Lied, das beim ersten Hören belanglos erscheint, kann uns nach mehrmaligem Anhören plötzlich gefallen. Eine Meinung, die uns zunächst fremd war, wirkt mit der Zeit gar nicht mehr so abwegig. Unternehmen setzen gezielt auf häufige Wiederholung, um Marken, Slogans oder Produkte vertrauter und attraktiver zu machen.
Neurowissenschaftlich lässt sich der Effekt auf Prozesse im limbischen System zurückführen, insbesondere auf die Amygdala, die bei der Bewertung emotionaler Reize eine zentrale Rolle spielt. Neue, unbekannte Reize aktivieren oftmals eine vorsichtige Reaktion, da Unbekanntes potenziell bedrohlich sein könnte. Wiederholung reduziert diese Aktivierung – vertraute Reize wirken sicherer, sie lösen weniger Stress aus und werden daher positiver bewertet. Diese automatische Präferenz für Bekanntes ist evolutionär sinnvoll: Was wir öfter erleben und ohne negative Konsequenzen verarbeiten, erscheint uns harmlos. Doch in komplexen Informationsumgebungen, wie sie unsere digitalisierte Medienwelt bietet, kann genau diese Präferenz problematisch werden.
Warum ist der Mere-Exposure-Effekt bei Desinformation gefährlich?
Der Mere-Exposure-Effekt birgt insbesondere im Kontext von Desinformation erhebliche Risiken. Wenn Menschen häufig mit falschen Informationen konfrontiert werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Informationen als echt akzeptiert werden. Einfach, weil sie bekannt erscheinen. Das menschliche Gehirn unterscheidet hierbei nicht automatisch zwischen echter und falscher Information, sondern bevorzugt vor allem das, was vertraut erscheint. So können gezielte Desinformationskampagnen leicht an Glaubwürdigkeit gewinnen, nur indem sie wiederholt verbreitet werden. Dies macht den Effekt besonders bedenklich in sozialen Netzwerken und digitalen Medien, wo falsche Informationen rasch und weit verbreitet werden können.
Die emotionale Aufladung von Botschaften spielt im politischen Diskurs – insbesondere bei populistischen und extremistischen Bewegungen – eine entscheidende Rolle. Rechte Akteur*innen nutzen und wiederholen gezielt Narrative, um Feindbilder zu etablieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Begriffe wie „Lügenpresse“, „Umvolkung“ oder „Gender-Wahnsinn“ werden immer wieder in sozialen Medien, Kommentaren, Videos und sogenannten alternativen Nachrichtenportalen reproduziert. Selbst wenn die erste Reaktion auf solche Begriffe Ablehnung oder Skepsis hervorruft, kann durch ständige Wiederholung ein Gewöhnungseffekt eintreten. Mit der Zeit erscheinen die Begriffe nicht mehr ganz so extrem, sie werden Teil des Meinungsspektrums. Ein gefährlicher Prozess der Normalisierung.
Hier zeigt sich, wie eng der Mere-Exposure-Effekt mit kognitiven Verzerrungen wie dem Overton-Fenster oder dem „Illusory Truth Effect“ (dt. Wahrheitseffekt) verwoben ist: Je öfter eine Aussage gehört wird, desto eher wird sie als richtig empfunden. Und zwar unabhängig davon, ob sie auch faktisch korrekt ist. Diese Verzerrung entsteht, weil unser Gehirn Informationen bevorzugt, die leicht verarbeitet werden können. Wiederholung erhöht diese kognitive Leichtigkeit und damit die gefühlte Glaubwürdigkeit. In digitalen Echokammern, in denen Nutzer*innen immer wieder mit denselben Inhalten konfrontiert werden, wird diese Dynamik verstärkt.
Ein Beispiel aus der vergleichsweise jüngeren Vergangenheit ist die systematische Desinformation über Geflüchtete, insbesondere während der sogenannten “Flüchtlingskrise” 2015. Rechte Gruppen und Plattformen wie PI-News oder entsprechende Social Media-Kanäle verbreiteten gezielt falsche oder verzerrte Berichte über Kriminalität, Sozialmissbrauch oder „kulturelle Inkompatibilität“. Diese Inhalte wurden tausendfach geteilt, kommentiert und diskutiert. Die Wiederholung überlagerte die Faktenlage und der Eindruck setzte sich fest, dass „die Medien“ verschweigen, „was wirklich los ist“. Auch wenn viele dieser Geschichten längst widerlegt wurden, bleiben sie durch Wiederholung im kollektiven Gedächtnis haften. Ein typischer Effekt des Mere-Exposure-Prinzips.
Diese Wiederholung muss nicht nur auf Inhalte, sondern kann auch auf Ästhetik und Stilmittel wirken. Bestimmte visuelle Codes, wie Reichskriegsflaggen, bestimmte Farbpaletten oder typografische Gestaltungen, erzeugen durch ihre wiederholte Verwendung Vertrautheit und Zugehörigkeit. Besonders für Menschen, die sich in der Grauzone zwischen latentem Ressentiment und politischem Aktivismus bewegen. So entsteht eine Ästhetik der Radikalisierung, die anschlussfähig wirkt, obwohl sie hoch problematische Inhalte transportiert.
All dies passiert nicht nur in geschlossenen Filterblasen, sondern durchdringt zunehmend auch den öffentlichen Diskurs. Wenn rechte Narrative in Talkshows unkommentiert wiederholt werden oder Schlagzeilen in Boulevardmedien rechte Talking Points aufgreifen, verstärkt sich dieser Effekt noch. Die Grenze zwischen Meinung und Manipulation verwischt. Der Mere-Exposure-Effekt trägt so zum Verlust der kritischen Urteilskraft bei. Nicht, weil Menschen dümmer werden, sondern weil sich das Gefühl für Normalität verschiebt.
Do’s und Don’ts
- Wiederhole keine menschenfeindlichen Begriffe oder falschen Behauptungen – auch nicht zur Widerlegung – ohne Einordnung oder klare Abgrenzung.
- Vermeide plakative Vereinfachung, die nur auf Wiedererkennung zielt. Differenzierte Kommunikation ist zwar anspruchsvoller, aber nachhaltiger.
- Trainiere dein kritisches Denken und die Fähigkeit, Inhalte nicht nur nach Vertrautheit, sondern nach Fakten, Kontext und Absicht zu bewerten.
- Verwende Wiederholungen konstruktiv, um fundiertes Wissen, faktenbasierte Inhalte und positive Narrative zu verankern – z. B. in der politischen Bildung oder in Medienkampagnen gegen Hass.
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