How to cope when the world is falling apart | #1

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Wenn es dir zur Zeit so vorkommt, als würde um uns herum alles auseinanderbrechen, dann bist du nicht allein mit diesem Gefühl. Wirklich. Es geht uns allen so. Nun, vielleicht nicht gleich allen, aber zumindest sehr vielen Menschen. Kriege rücken näher, politische Spannungen nehmen zu, und was gestern noch stabil wirkte – Demokratie, soziale Sicherheit, Diskursräume – wirkt heute fragil. Gleichzeitig ist das Internet, das für viele von uns ein Ort der Verbindung, der Information oder des Aktivismus ist, zu einem permanenten Krisen- und Überwachungsraum geworden. Hass, Hetze, algorithmische Zuspitzung, gezielte Desinformation und Bot-Angriffe zerren an unserer Aufmerksamkeit und an unserem immer dünner werdenden Nervenkostüm.

Egal ob du aktivistisch tätig bist oder einfach nur versuchst, dich und deinen Kopf über Wasser zu halten, während die Welt sich anfühlt wie ein permanenter Ausnahmezustand: In dieser Artikelreihe wollen wir dir Wege zeigen, wie du in einer aus den Fugen geratenen Welt deine mentale und körperliche Gesundheit schützen kannst, ohne dich abzuschotten. 

Wenn du regelmäßig online bist, bewegst du dich in einem Ökosystem, das nicht neutral ist. Plattformen wie X/Twitter, TikTok oder Facebook verstärken Inhalte, die starke Emotionen auslösen – Wut, Angst, Empörung. Der Algorithmus arbeitet nicht für dich und dein Wohlbefinden, sondern um deine Aufmerksamkeit zu behalten. Diese Mechanismen führen dazu, dass polarisierende Inhalte sich überproportional verbreiten, und sie fördern sogenannte „negative engagement loops“:  Du klickst, weil du dich aufregst, und wirst dadurch immer wieder mit neuem Stressmaterial gefüttert.Zu Anbeginn der Menschheit waren wir darauf angewiesen, potenzielle Gefahren in unserer Umgebung frühzeitig zu erkennen, um schnellstmöglich handeln zu können. Ob Säbelzahntiger oder Naturkatastrophe: Wurde eine Gefahr übersehen, endete das im Zweifel tödlich. Dadurch hat unser Gehirn gelernt, negative Informationen und Reize schneller und besser zu verarbeiten als positive, und das tut es immer noch. In mancher Hinsicht ist der sogenannte “Negativity Bias” zwar auch heute noch sinnvoll – allerdings weniger im Zusammenhang mit (Sozialen) Medien. 

Hinzu kommt: Ein großer Teil der Inhalte, die dich erreichen und womöglich belasten, wurde nie von echten Menschen verfasst. Der aktuelle Bad Bot Report von 2025 kommt zu dem Ergebnis, dass inzwischen nur noch 49% der Internetuser*innen echte Menschen sind. 14% sind sogenannte Good Bots wie z.B. ChatBots oder Bots, die Threads auf Microbloggingdiensten zusammenführen. 37% machen aber inzwischen die Bad-Bots aus – also auch diejenigen, die das Internet mit Slop, Falschinformationen, Hass und Hetze überschwemmen. Eine andere Studie hat erhoben, dass die von künstlicher Intelligenz generierten Blogartikel die von Menschen erstellten seit November 2024 überschritten haben. Besonders aktiv sind sie in Phasen politischer Spannung, in Wahlzeiten oder bei Kriegs- und Krisenthemen. Sie infiltrieren bestehende Netzwerke, verstärken extreme Positionen und nutzen Emotionen als Waffe.

Das Resultat ist ein Dauerzustand der Reizüberflutung: Dein Gehirn – insbesondere die Amygdala, also das emotionale Alarmsystem – reagiert auf jedes Bedrohungssignal. Mit der Zeit befindet sich unser Nervensystem irgendwann in chronischer Alarmbereitschaft. Studien zeigen, dass langanhaltende mediale Belastung ähnliche neurobiologische Effekte hat wie physischer Stress: Veränderungen in der Stressachse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-System), Einschränkungen der Emotionsregulation und Schlafstörungen.

Diese Prozesse geschehen schleichend und womöglich fällt es dir erst auf, wenn sie bereits in vollem Gange sind. Du merkst vielleicht, dass du dich ausgelaugter fühlst als sonst, schneller gereizt reagierst, es dir schwerer fällt, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden, zwischen konstruktiv und destruktiv. Das ist keine persönliche Schwäche, sondern ein systemisch erzeugter Zustand.

Wenn sich politische Systeme destabilisieren und du gleichzeitig täglich mit Bildern von Zerstörung, Gewalt und Verachtung konfrontiert wirst, entsteht ein massiver Verlust an innerer Sicherheit. Menschen brauchen ein gewisses Maß an Vorhersagbarkeit, Zugehörigkeit und ein Gefühl von Kontrolle, um psychisch stabil zu bleiben. Wenn diese Strukturen bröckeln – sei es durch reale Kriegsbedrohung, den Aufstieg autoritärer Bewegungen oder gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung –, reagieren wir mit Übererregung und/oder Resignation.

Zustimmungsraten aus der Bertelsmann-Studie von 2024

Desinformationskampagnen nutzen genau diesen Mechanismus: Sie zielen darauf, kollektives Vertrauen zu zerstören. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2024 sehen über 80 % der Befragten Desinformation als reale Gefahr für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Trollfarmen, Bot-Netzwerke und orchestrierte Kampagnen manipulieren Debattenräume und verstärken das Gefühl, dass nichts und niemand mehr glaubwürdig ist. Dieses „epistemische Misstrauen“ schwächt nicht nur demokratische Prozesse, sondern auch die psychische Widerstandskraft jede*r Einzelnen.

Gerade aktivistische Menschen und Personen aus marginalisierten Gruppen stehen unter besonderem Druck, weil sie häufiger Ziel solcher Kampagnen sind. Die ständige digitale Anfeindung führt zu einer Form der „sozialen Erschöpfung“ und dem Gefühl, immer reagieren, sich rechtfertigen oder verteidigen zu müssen.

Wahrscheinlich weißt du vieles davon bereits, wenn du uns schon länger folgst oder selbst aktiv in der digitalen Bildung bist. Du kennst die Strukturen von Plattformen, du weißt um die Effekte algorithmischer Verstärkung und um die Notwendigkeit kritischer Medienkompetenz. Trotzdem hilft uns reines Wissen nicht gegen emotionale und neuronale Überlastung. Dein kognitives Verständnis und dein limbisches System sprechen zwei verschiedene Sprachen.

Darum wird diese Artikelreihe nicht nur analytisch, sondern auch körper- und praxisorientiert sein. Es geht darum, wie du dich in einem digitalen Umfeld schützt, das auf Eskalation programmiert ist. Wie du erkennst, wann du getriggert wirst und wie du deinen Körper wieder aus dem Alarmmodus bekommst. Wie du Informationen bewertest, Fakten prüfst und Manipulationsmuster erkennst, ohne in Zynismus oder Verweigerung zu rutschen. Wie du dein Nervensystem verstehst, wie du den Dauerstress ausbalancierst und dich körperlich stabilisierst, auch wenn du psychisch überfordert bist. Und natürlich, wie du in toxischen Informationsräumen widerständig bleibst, wie du solidarische Online-Räume gestaltest und Strategien gegen digitale Erschöpfung entwickelst.

In der nächsten Folge sprechen wir über Bad News, Doomscrollling und das Durchbrechen des Kreislaufs.

Autorin: Giulia Silberberger

Diese Artikelreihe erscheint jeweils am 01. und am 15. eines Monats. 
Bitte beachte, dass wir keine psychologische Betreuung oder medizinische Behandlung anbieten. Depressionen, seelische Erkrankungen und tiefgreifendere Sorgen, Nöte und Probleme solltest du immer mit Fachleuten wie z.B. eine*m Psychotherapeut*in besprechen. 

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