Der Emotionsappell

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Der Emotionsappell ist ein Argument, das sich nicht an die Vernunft und die Logik richtet, sondern an grundlegende Gefühle. Bevorzugt werden starke Gefühle wie Angst, Stolz, Rachewünsche oder Mitleid mit Schwächeren, Schutzbefohlenen oder benachteiligten Gruppen angesprochen. Im Englischen wird diese Art der Argumentation deshalb auch ironisch “for the children”, also “für die Kinder” genannt – und wer könnte gegen etwas “für die Kinder” argumentieren?

Wie funktioniert er?

Wer mit dem Emotionsappell arbeitet, verschleiert durch das Wecken der Emotion beim Gegenüber das Fehlen einer rationalen Begründung für die vertretene Position. Es wird darauf gesetzt, dass die hervorgerufene Emotion (Angst, Wut, Mitleid, Ehre, etc.) stärker ist als das kritische Denken. Wer eine Maßnahme mit einem emotionalen Appell begründet, hofft darauf, diese nicht mehr mit validen Argumenten begründen zu müssen. Da die Emotionen, an die appelliert wird, meist sehr stark und teilweise von existenzieller Bedeutung sind, geht diese Taktik auch oft auf. Starke Gefühle verleiten uns dazu, erst zu handeln (meist impulsiv) und dann zu denken (wenn überhaupt).

Ein paar Beispiele

Die Anekdotische Evidenz begegnet uns aktuell besonders häufig bei Themen, die mit der Klimakrise zusammenhängen. Um zu verleugnen, dass Berichte über Extremwetterlagen, hohe Temperaturen oder andere Anzeichen der fortschreitenden Klimaerwärmung ernst zu nehmen sind, wird auf eigene Erfahrungen verwiesen, die natürlich laut Statistik nicht repräsentativ sind.

Appell an die Angst im Wahlkampf durch eine AfD-Kandidatin. Hier werden im Zuge des Appells bereits die vermeintlich Verantwortlichen benannt sowie, wie im Populismus üblich, eine scheinbar einfache Lösung angeboten (siehe Bild).

Weitere Beispiele:

  • “Das deutsche Volk wird untergehen, wenn wir nicht die Grenzen schließen.” “Willst du wirklich, dass deine Kinder eine Minderheit im eigenen Land sind?” (Appell an die Angst, “for the children”)
  • “Diese Verbrecher haben keine menschliche Behandlung verdient, das sind keine Menschen, die so etwas tun.” “Man sollte sie an die Wand stellen!” (Appell an die Wut)
  • “Du bekommst zu wenig Taschengeld?” “Es gibt so viele Kinder auf der Welt, die ärmer sind als du, denk doch mal an die, willst du dich dann wirklich noch beschweren?” (Appell an das Mitleid)
Mit der Formulierung "zu singen, zu tanzen oder sich krank zu stellen" wird eine Äußerung der Berliner Polizei zu einer speziellen Situation aus dem Kontext gerissen, um diese durch Überspitzung lächerlich zu machen.

Ein echtes “Und was ist mit den Kindern?”-Beispiel:

In der ARD-Sendung Wahlarena mit 150 Wählern, die die Kanzlerin direkt befragen konnten, hatte ein Homosexueller Merkel mit dem Nein ihrer CDU zur vollen Gleichstellung von Homo-Paaren bei Adoptionen konfrontiert. Merkel antwortete: “Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwer tue mit der kompletten Gleichstellung (…)”, “Ich bin unsicher, was das Kindeswohl anbelangt.” Sie wolle das sagen dürfen, “ohne damit Menschen diskriminieren zu wollen.”

Kindeswohl wird hier verwendet, um persönliche Vorbehalte zu legitimieren, statt für sich selbst aufzuarbeiten, warum dieses existiert und warum “Unwohlsein” nicht Grundlage allgemeiner Politik sein darf.

Ein weiterer, oft genutzter Themenbereich für Emotionsappelle ist der Tierschutz. Nach Kindern sind Tiere ein weiterer mächtiger Emotionsträger. Nicht verwunderlich ist daher, dass der Tierschutz im Rechtsextremismus quasi Tradition hat, eben weil er so problemlos instrumentalisierbar ist.

Ein oft gewählter Einstieg ist beispielsweise ein Engagement gegen Massentierhaltung oder Schlachtung generell. Von dort lässt sich dann leicht eine Brücke zum Schächten bauen, was seit langem von der Rechten als Argument genutzt wird und womit man thematisch schon beim Islam oder vor allem dem Judentum angekommen ist. All zu unbekannt ist leider auch die Tatsache, dass Tierschutz in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert primär antisemitisch geprägt war, was es aktuellen Narrativen heute oft leicht macht, sich zu verfangen.

Direkt angrenzend an Tierschutz ebenso im Umweltschutz: In der Vergangenheit wurden beispielsweise Kampagnen gegen gentechnisch verändertes Saatgut gezielt von der Partei Die Heimat (ehemals NPD) unterstützt. Auch hier überlagerten im Zweifel emotionale Beweggründe die Faktenlage über Ungefährlichkeit.

Warum ist die Taktik so gefährlich?

Mit dem Appell an die Ehre oder um eine Demütigung zu rächen, wurden über Jahrtausende hinweg Menschen motiviert, in Kriege gegen ihre Nachbarländer zu ziehen. Appelle an das Mitleid ersticken Widerrede oft im Keim, weil sich niemand dem Vorwurf der Hartherzigkeit oder Menschenfeindlichkeit aussetzen will. Und der Appell an die Angst spekuliert darauf, die Vernunft komplett außer Kraft zu setzen, indem eine (existenzielle) Bedrohung behauptet wird, für die es nur eine alternativlose Lösung gibt.

Appelle an Emotionen wie Wut, Angst, Rache wirken stark polarisierend, sie schüren Hass und spalten die Gesellschaft. Sie sollen (wie das Falsche Dilemma) das Gegenüber zu einer Entscheidung drängen, ohne vernünftige Abwägung von Für und Wider.

Die Emotionsappelle funktionieren zum einen über sozialen Druck und entsprechende Konstrukte (Ehre), zum anderen über ganz grundlegende menschliche Empfindungen (Angst, Wut). Beidem kann man sich kaum entziehen, und man wird schnell in die Falle der Scheinlogik gezogen. Es erfordert Mut und ein hohes Maß an Überlegtheit, sich offen gegen diese Art Argumente zu positionieren. Aus diesem Grund findet man sie auch häufig bei Populist*innen und in autoritären Regimen.

Auch sogenannte “Schockanrufe” von Betrüger*innen basieren auf dem gleichen Prinzip: Überlegung und Vernunft sollen ausgeschaltet werden, die Angerufenen sollen nur von Angst, Schuldgefühlen und Mitleid getrieben werden. In letzter Konsequenz können emotionale Appelle dazu führen, dass sich Menschen alleine oder in Gruppen radikalisieren, “für die Sache” Straftaten begehen oder in Gewalttaten “ihren Gefühlen freien Lauf lassen”.

Was tun, und was nicht?
  • Selbst sachlich bleiben, und das auch vom Gegenüber einfordern
  • Taktik ansprechen und deutlich machen, dass die emotionalen Appelle keine Sachargumente ersetzen können
  • Vorwürfe zurückweisen, sich auf keinen Fall rechtfertigen
  • Gewinnt man den Eindruck, dass der Appell aus eigenen Erfahrungen resultiert und eher auf fehlender Reflexion und auf Generalisierung beruht als auf bewusster Manipulation, kann man auch das thematisieren. Erfahrungen sind individuell und sollten nicht bestritten werden (Ausnahme: eindeutig erkennbar erfundene “Urban Legends”)
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